Wolfsfieber
Mädchenstimme.
„Sie war das Schönste, was ich je sah. So anders als alles,
was ich kannte. Ihr Herz hatte diesen Rhythmus, der mich in
meinen Träumen begleitet und den Herzschlag meines Her-
zens annähernd auf menschliches Tempo senken konnte.“
Er lachte laut und widerwärtig. „Mein Sohn, der verliebte
Dichter. Das werde ich ihm als Erstes abgewöhnen müssen!“
Jetzt konnte ich nicht mehr schweigen.
„Du kranker Bastard. Lass ihn in Ruhe. Er ist zehnmal so
viel wert wie du. Du armseliges, kleines Möchtegern-Raub-
tier. Wenn du es wagst, noch einmal seine Worte derart in
den Dreck zu ziehen, dann bring ich dich zur Strecke. Ich
finde einen Weg. Kannst darauf wetten, alter Mann. Verzei-
hung, Hund! “ Ich schrie dabei so laut und wütend, dass sich
meine Halsschlagader so fest gegen die Haut presste, dass es
verflucht schmerzhaft war.
Ich rechnete erneute mit Schlägen. Doch die einzige Re-
aktion, die er zeigte, war ein ungläubiges Schulterzucken.
„Ein mutiges, kleines Ding bist du. Fast schade, dass du
nicht mehr lange leben wirst!“
246
Da war es wieder, das boshaft dämonische Grinsen, das
mich erstarren ließ, als hätte ich Eis in den Adern. Eines war
sicher, wie immer das hier ausgehen würde, es würde eine
verflucht lange Nacht werden. Und noch war kein Ende in
Sicht.
Zwei Stunden nach dem Aufwachen …
Meine Angst war mittlerweile so überwältigend, dass ich
nur noch fähig war, unregelmäßig und schwach zu atmen.
Doch der Drang, ihm meinen ganzen Ekel und Abscheu ins
Gesicht zu spucken, war mindestens genauso groß, wenn
nicht größer. Überlebensinstinkt und Adrenalin übernahmen
jetzt das Kommando und ich ließ, in einem Anflug von un-
bändigem, verzweifeltem Mut, meinen Worten freien Lauf.
„Du hältst dich für so stark, Farkas. Dabei bist du nichts
weiter als ein armer, kleiner Feigling. Sonst würdest du nicht
hier rumtönen, wie du ihn fertigmachen willst, in dem du
mich quälst. Ein echter Mann, ein mutiger Mann, würde
sich ihm ganz offen stellen. Als Wolf. In einem fairen Kampf.
Wolf gegen Wolf!“
In Wahrheit verkrampfte sich mein Magen beim bloßen
Gedanken daran. Ich konnte schon beim ersten Schlag, den
ich ausgeteilt hatte, sehen, wie sein Gesicht sich in eine
wütende Fratze verwandelte. Auf einmal erschien mir mein
„Ausbruch“ alles andere als eine gute Idee zu sein. Seine
wütende, verzerrte Miene ging über in ein ebenso boshaftes
Lächeln.
„Das wird nicht funktionieren, Kleine. Aber netter Ver-
such“, tönte er gönnerhaft. Sein Mund drängte sich von der
Seite an mein Ohr. Fast berührte er meine Wange. Mit an-
gewiderter Stimme setzte er hinzu: „Für einen Menschen!“
Doch so sinnlos meine Versuche auch waren, vielleicht
verschafften sie mir genau die Zeit, die ich ihm – seinen
Namen konnte ich jetzt nicht mal denken, sonst würde ich
durchdrehen – verschaffen musste, um uns zu finden. Aber
wollte ich das wirklich? Was könnte alles passieren? Er könn-
247
te sterben oder Schlimmeres. Wobei es mir schwerfiel, sich
so etwas Grässliches vorzustellen.
Farkas befand sich jetzt wieder hinter meinem Rücken, ganz
in seinem Element als unberechenbarer Entführer. Ich konn-
te wieder nicht sehen, was er vorhatte. Schließlich hatte er
mir in diesen ersten beiden Stunden schon gedroht, mir weh-
getan, sich an meinem Leid ergötzt und ein Ende war keines-
wegs in Sicht. Was sollte noch alles auf mich zukommen?
Bei einem derart verkommenen Geist musste man mit allem
rechnen. Wieder blickte ich zu dem schwarzen Notizbuch,
das er verächtlich auf dem verdreckten Steinkaminsims hat-
te liegen lassen. Das war bisher das Schlimmste gewesen,
dass er so viel über uns wusste und es benutzte, um mich zu
quälen und sich über uns, über ihn, lustig zu machen. Den-
noch, das Notizbuch im selben Raum zu wissen, spendete
mir auch auf seltsame Weise Trost. Die Schmerzen waren al-
les andere als bedeutungslos, doch das konnte ich schon er-
tragen. Aber jetzt, da ich die „Wahrheit“ kannte, wusste, dass
es sich bei dieser Bestie um seinen Vater handelte, waren
all die Abscheulichkeiten, die er beging, alles, was er über
ihn, über uns sagte, noch unerträglicher. Obwohl ich dabei
war, mich in diesen Gedanken zu verlieren, hörte ich den-
noch die Geräusche hinter meinem Rücken. Es klang, als ob
er nach etwas suchen würde. Doch was konnte er in dieser
alten Mühle schon finden? Es sei
Weitere Kostenlose Bücher