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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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ei-
    len. Dieser sanfte Kuss beim Abschied, so vertraut, als würde
    er zu mir gehören wie der eigene Arm. Es war schwer, dem
    zu widerstehen. Doch mein Pflichtbewusstsein war ein zäher
    Charakterzug und es war mir immer schon schwergefallen,
    meine eigenen Bedürfnisse meinen Aufgaben voranzustellen.
    Doch alles war jetzt anders. Schließlich hatte ich jetzt etwas,
    jemanden, neben dem meine Pflichten und meine Arbeit
    so verblassten, dass meine Prinzipien stark ins Wanken ge-
    rieten. Aber ich sagte mir, dass das wohl zum Verliebtsein
    dazugehört. Wie merkwürdig sich das noch immer anhörte:
    Ich und verliebt. Doch ich konnte es nicht abstreiten und
    zum allerersten Mal wollte ich es auch gar nicht. Den halben
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    Heimweg hing ich diesen süßen Gedanken nach, bis ich zu
    meinem Gartentor kam.
    Ich griff nach der Klinke, doch ich sollte sie gar nicht
    erst berühren. Im selben Augenblick spürte ich, wie sich von
    hinten jemand an mich herandrängte und mir ein Tuch mit
    einem scharf beißenden Geruch auf Mund und Nase press-
    te. Mein Herzschlag überschlug sich. Doch ich kam weder
    dazu, einen Schrei auszustoßen, noch konnte ich mich über-
    mäßig gegen meinen Angreifer wehren. Ich versuchte mich
    aus seiner Umklammerung zu lösen, doch mehr als ein
    schwaches Zucken kam nicht dabei heraus. Der ätzende Ge-
    ruch zeigte Wirkung. Meine Beine sackten mir weg und alles
    verschwamm vor meinen Augen. Mein letzter bewusster Ge-
    danke war, dass ich keine Schritte hinter mir gehört hatte.
    Und dann nichts. Nur Finsternis.
    Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, doch
    langsam kam ich wieder zu Bewusstsein. Wenn auch meine
    Wahrnehmung sehr eingeschränkt war. Mein Kopf hämmer-
    te dumpf und ein komischer Geschmack lag auf meiner Zun-
    ge, aber am deutlichsten war der Eindruck meines schlappen
    Körpers, den ich nicht bewegen konnte. Auch meine Augen
    sahen nur schemenhafte, dunkle Umrisse. Wieso konnte ich
    nicht ein einziges Glied meines Körpers bewegen, aber füh-
    len? Wo zur Hölle war ich? Was war verdammt noch mal mit
    mir passiert?
    Bevor ich es noch sah, fühlte ich die Antwort. Mein Kör-
    per war nicht durch die Droge, vermutlich Chloroform – was
    für ein Klischee – bewegungsunfähig. Nein, ich war gefes-
    selt. Ich fühlte die rauen Seile an meinen Arm- und Fußge-
    lenken. Noch immer verweigerten mir die Augen den Dienst.
    Unter meinen Gelenken, mit den Seilen verbunden, fühlte
    ich gleichzeitig Holz. Das musste es sein. Ich war an einen
    Stuhl gefesselt. Jedes Bein an ein Stuhlbein geknebelt. Meine
    Hände konnte ich noch zusammenfalten und meine Schul-
    tern taten mir weh. Daraus folgerte ich, dass meine Hände
    hinter dem Stuhl zusammengebunden worden waren. Meine
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    schweren Lider begannen langsam wieder ihren Dienst auf-
    zunehmen, aber ich konnte noch nicht sprechen. Der erste
    Blick, den ich erhaschte, galt einer alten Campinglampe,
    die neben meinem Stuhl leuchtete und deren Geruch nach
    Brennspiritus mir erneut den Magen umdrehte. Wo war ich?
    Abseits des Lichtkegels sah ich noch nichts. Zu finster. Mei-
    ne Augen gewöhnten sich erst langsam an die Dunkelheit.
    War ich in einem alten Weinkeller? Es gab diesen feuchten
    Geruch nach Stein und Moder, aber es fehlte der alte, ab-
    gestandene Gärgeruch, der typisch gewesen wäre. Nein, es
    musste etwas anderes sein. Es zog fürchterlich. Hinter mir
    roch es nach Stroh und es schien im ganzen Raum nur zwei
    Fenster zu geben, uralt natürlich, die mit Jute-Stoffvorhän-
    gen völlig verdeckt waren. Vor mir, in der einen Ecke, stand
    ein Ofen, mehr ein alter Steinkamin. Alles kam mir sehr be-
    kannt vor, aber nicht vertraut. Ich war hier schon mal gewe-
    sen. Ja, während meines Studiums hatte ich einmal für das
    Lokalblatt über die alten Mühlen von Rohnitz geschrieben.
    Offenbar befand ich mich in einer davon. In der ältesten,
    wie ich glaubte, der Rohnitzer-Tal-Mühle. Ganz nahe dem
    Stausee. Die einzige Mühle, die vollkommen abgeschieden
    im Wald hinter dem Stausee lag. Wer immer mich hierherge-
    bracht hatte, hatte seine Hausaufgaben gemacht. Hier wür-
    de mich keiner finden. Aber wer hatte mich „entführt“ und
    was wollten er oder sie bloß von mir?
    Ich wunderte mich, wieso ich noch nicht in Panik ausge-
    brochen war oder wieso ich nicht um Hilfe schrie. Vielleicht
    war ich mir der Gefahr, in der ich mich befand, noch nicht
    ganz bewusst, vielleicht war ich noch von dem Betäubungs-
    mittel zu benommen,

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