Wolfsfieber
die sandfarbe-
nen Flecken. Mein Wolf. Mein Mann war gekommen. Er
hatte uns gefunden.
Und jetzt reagierte er blitzschnell. Er sprang in einem
Satz hinter mich und zerbiss die Handfesseln. Ich wollte
instinktiv nach ihm fassen, doch er war schon wieder am
anderen Ende des Raumes bei Farkas, der gerade die Ver-
wandlung vollzogen hatte und nun mit gefletschten Zähnen
aus der Ecke kam. Die beiden Wölfe, der Mann, den ich
liebte, und der Mann, der mich gepeinigt hatte, standen
sich jetzt Schnauze an Schnauze gegenüber und knurrten
sich an. Keiner von beiden bewegte sich, doch beide Wölfe
waren eindeutig in Lauerstellung. Istvans Flanken waren so
angespannt, dass ich meinte, seine Muskeln würden zerplat-
zen, und das Knurren der beiden war dermaßen laut, dass
das Geräusch jeder Kettensäge Konkurrenz gemacht hätte.
Ich konnte meine Augen nicht von ihnen abwenden. Auch
wenn ich fühlen konnte, dass mein Wolf nur abwartete, bis
ich mich befreien würde und mich in Sicherheit brächte,
damit er seinen Angriff beginnen könnte. Doch meine eige-
nen Hände wollten mir nicht gehorchen. Der Schock ließ
sie so sehr zittern, dass ich es nicht gleich schaffte, die Fuß-
fesseln zu lösen. Ich musste mir ein paar Mal die Hände
schütteln und mich gedanklich ermahnen: Jetzt reiß dich
aber zusammen!
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Es klappte. Ohne die beiden Wölfe aus den Augen zu las-
sen, löste ich die Fesseln nacheinander und bugsierte mich
in die hinterste Ecke des Raumes. Der Steingrill bot sich an
und ich ging hinter ihm in Deckung. Sobald ich meinen Kopf
eingezogen hatte, hörte ich auch schon das Jaulen von einem
der Wölfe. Doch ich konnte nicht sagen, von welchem.
Mein Herz setzte aus. Ich musste an der Seitenwand vorbei
nach ihm sehen. Es war nicht mein Wolf, der gejault hatte.
Istvan stand noch unverletzt in der Mitte des Raumes. Of-
fenbar hatte er Farkas einen Hieb versetzt, der ihn gegen
die Ostwand krachen ließ. So wie er gejault hatte, musste er
verletzt sein. Was mir, zugegeben, Genugtuung verschaffte.
Doch so leicht wollte er sich nicht geschlagen geben und
setzte zum Sprung auf Istvan an. Wo zum Teufel ist eine Fa-
ckel, wenn man eine braucht? , dachte ich. Dann könnte ich
es ihm selbst zeigen. Doch Istvan schien meine Hilfe oder
meinen Einsatz weder zu wollen noch zu brauchen. Das
Adrenalin musste in seinem Wolfskörper toben, denn er er-
wischte Farkas mitten im Sprung und biss ihm in den rechten
Vorderlauf. Wieder heulte der Wolf Farkas auf. Ich sah einen
Wechsel des Lichtes. Der Tag brach an und gleich würden
sich beide zurückverwandeln. Doch so weit kam es nicht.
Der letzte Angriff von Istvan schien zu wirken. Wolf Farkas
humpelte mit einer angeschlagenen Vorderpfote rückwärts
aus der Tür. Istvan schien ihm erst folgen zu wollen, überleg-
te es sich dann doch anders und ging ebenso rückwärts, die
Aufmerksamkeit Farkas zugewandt, in meine Richtung.
Als Farkas endgültig aus der Tür war, begann bei Istvan
schon die Rückverwandlung. Wie immer ging es dabei sehr
schnell. Schließlich wehrte er sich dagegen viel weniger. Bin-
nen einer Minute lag der Mann Istvan auf dem Boden. Noch
ehe er ganz ein Mensch war, fragte er: „Geht es dir auch gut?
Bist du auch nicht verletzt?“ Er war noch nicht mal aufge-
standen und ich versicherte ihm, dass ich unverletzt sei. Da
packte ihn nochmals das Adrenalin und er hechtete, immer
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noch auf Kampf gepolt, aus dem Zimmer, nackt, wie er war.
Ich versuchte ihm zu folgen, mit wackeligen Beinen.
Doch er kam zu spät. Istvan konnte gerade noch einen
kurzen Blick auf Farkas in seiner menschlichen Gestalt er-
haschen, als dieser sich kurz umdrehte, um dann im Wald
zu verschwinden. Der Moment war gerade lange genug, da-
mit Istvan von nun an wissen würde, wie sein vermeintlicher
Gegner aussah. Doch wie sollte ich meinem Retter klar ma-
chen, dass sein Feind, vor dem er mich bewahrt hatte, auch
sein Vater war? Wie würde er das aufnehmen? Wie konnte
ich ihm so wehtun? Wieso musste ausgerechnet ich es sein,
die Frau, die ihn so sehr liebte, die ihm klarmachen musste,
dass sein Vater ein Monster war, dass er es war, der ihn zu
diesem Leben als Wolf verdammt hatte?
Ich wünschte mir mehr als alles andere auf der Welt, ich
müsste es ihm nicht sagen, doch ich konnte ihn nicht belü-
gen. Er hatte ein Recht auf die ganze Wahrheit, wie schreck-
lich sie auch immer sein mochte. Es lag ein schwieriger Tag
vor
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