Wolfsfieber
ers-
ten griffbereiten Kleiderbügel sah ich ein hellblaues Hemd,
das ich mir dann auch gleich anzog. Ich war schnell fertig und
ging danach ins Bad. Ich schloss hinter mir ab, wieso, konnte
ich nicht genau sagen. Mit ein paar schnellen Handgriffen
wusch ich mir das Gesicht und bürstete meine zerzausten
Haare, ohne dabei auch nur einmal in den Spiegel zu sehen.
Ich war wenig darauf erpicht, mein Spiegelbild zu überprü-
fen und konnte mir sehr gut vorstellen, welches Bild sich mir
bieten würde. Bevor ich zurückging, zu ihm, setzte ich mich
noch eine Weile auf den Rand der Badewanne und atmete
mit geschlossenen Augen ein paar tiefe Züge, um mich etwas
zu beruhigen. In Gedanken ging ich die Punkte durch, die ich
Istvan wissen lassen musste, und überlegte mir, wie ich es in
Worte fassen könnte, dass Farkas sein Vater war. Doch jedes
Mal, wenn ich glaubte, eine halbwegs brauchbare Fassung
gefunden zu haben, blitzte ein Bild vor meinen Augen auf,
das mir den Wind aus den Segeln nahm. Es war das Bild von
Maria, wie sie von diesem Monster Farkas, seinem eigenem
Vater, umgebracht wird, und ich war wieder genau dort, wo
ich angefangen hatte, nämlich mutlos und unfähig, ihm alles
zu erzählen. Ich musste lange im Bad gewesen sein, denn
plötzlich hörte ich sein Klopfen an der Tür.
„Joe, ist alles in Ordnung da drin?“, fragte er und ich konn-
te hören, wie die Sorge seine schöne Stimme beeinflusste.
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„Ja, ich komme gleich. Warte doch in meinem Zimmer,
ja?“
„Gut, aber du sagst mir doch, wenn du mich brauchst?“,
fragte er, noch immer voller Fürsorge für mich. Aber er konn-
te ja nicht ahnen, dass nicht ich es war, um die man sich jetzt
Sorgen machen musste.
Ich wartete, bis ich hörte, dass er in mein Zimmer gegan-
gen war, dann erst schloss ich auf. Mit zögerlichen Schritten
folgte ich ihm. Mein Zimmer, ansonsten ein sicherer Hafen
für mich, war plötzlich der letzte Ort, an dem ich sein wollte.
Als ich die Tür öffnete, sah ich, dass er auf meinem Bett
saß. Ein verlorener Ausdruck verdunkelte seine schönen Ge-
sichtszüge. Istvan hatte eine Wasserflasche in der Hand. Er
drehte sich zu mir hin. Als ich seine Augen sah, konnte ich
nicht länger zögern und setzte mich zu ihm auf den Rand
meines Bettes. Er reichte mir die Flasche und meinte dazu:
„Du musst ja völlig ausgetrocknet sein. Bitte trink etwas!“,
befahl er mir beinahe und ich nahm einen gierigen Schluck,
der mich erst erkennen ließ, dass er damit recht hatte. Ich
wollte nicht gleich mit der Tür in Haus fallen und kehrte zu
einer altbekannten Methode im Umgang mit Istvan zurück
aus der Zeit, als wir nur Freunde waren. Ich fragte ihn aus,
während ich mir überlegte, wie ich meinerseits vorgehen
sollte.
„Wer könnte eigentlich dieser menschliche Helfer von
Farkas gewesen sein?“, fragte ich und versuchte, meinen
Tonfall so neutral wie möglich klingen zu lassen, um ihm
den Eindruck zu vermitteln, dass ich das Schlimmste bereits
verwunden hätte.
„Ich habe schon davon gehört, aber bis heute Nacht
dachte ich nicht, dass es tatsächlich wahr sein könnte. Als
Valentin mir damals in Rumänien das erste Mal von Farkas
erzählte, ging ein Gerücht um, er würde Menschen für nie-
dere Aufgaben benutzen, vor allem, wenn ihn seine Wolfs-
form dazu zwang“, erklärte er und versuchte nun seinerseits,
so unbestimmt wie möglich zu klingen.
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„Und wer sind diese Menschen?“, bohrte ich weiter.
„Farkas selbst nennt sie seine geringeren Söhne. Angeb-
lich sind es tatsächlich seine Söhne, die er mit Menschen-
frauen gezeugt hat, die aber als reine Menschen geboren wur-
den. Er soll sie den Müttern weggenommen und ihnen von
den unglaublichen Kräften vorgeschwärmt haben, die auf sie
warteten, wenn sie bereit wären, sich zuerst als würdig zu er-
weisen. Dieser Bastard! Er zwingt diese Burschen, sich den
Biss zu verdienen. Kannst du dir das vorstellen, Joe?“, schrie
er mir fassungslos entgegen.
Ich konnte nur ertappt zu Boden sehen, denn nach allem,
was ich über Farkas wusste, konnte ich es mir leider nur allzu
gut vorstellen.
„Was ist, was hast du? Hat er dir etwas darüber erzählt?“,
fragte er erstaunt, als er meine Reaktion mitbekam.
„Istvan ich … ich weiß einfach nicht, wie ich es dir sagen
soll. Ja, er hat mir davon erzählt, dass er versucht, mit Frauen
Werwölfe zu zeugen. Das ist aber nicht alles, was er erzählt
hat.“
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