Wolfsfieber
Gegen-
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schlag aus. „Hast du da nicht etwas vergessen? Was ist mit
Istvan? Sein Erinnerungsvermögen wäre doch intakt und er
würde mich schon davon überzeugen, dass er mir nichts ge-
tan hatte!“
Ha! Nun hatte ich gepunktet. Dachte ich zuerst, denn
er schien nicht sonderlich geknickt durch meinen Einwand.
Farkas winkte nur lässig mit einer Hand hin und her und
meinte: „Vielleicht ja, vielleicht nein. Schon möglich, dass er
es schafft, dich zu überzeugen. Doch eines wüsste er ohne
Zweifel. Wie er es dreht oder wendet, er würde die Schuld
an deiner Verwandlung haben. Schließlich hat dich einer
aus seiner Welt verwandelt und ohne ihn wärst du nie in
diese Gefahr gekommen. Ich kenne meinen melodramatisch
von Selbsthass zerfressenen Sohnemann. Er würde sich die
Schuld geben und ausrasten. Er wird sich aufmachen, den
Werwolf zu suchen, der dich verdammt hat. Auch wenn er
natürlich nicht wüsste, dass er eigentlich nach mir suchen
würde. Und genau da komme ich wieder ins Spiel!“ Was
mich noch mehr aufbrachte als die Details seines perfiden
Plans, war, dass er ihn Sohnemann genannt hatte. Doch ich
konnte mich nicht auf meinen Ekel konzentrieren, dazu war
ich in seinen fieberhaften Ausführungen zu sehr gefangen.
„Nachdem er dich verlassen hat, um seine Rache aus-
zuüben, feiern wir beide unser kleines Wiedersehen. Doch
diesmal wird es für dich nicht so glimpflich ablaufen. Um
ehrlich zu sein, werde ich dich dann töten müssen.“
Er machte an dieser Stelle keine dramatische Pause, wie
es mein Gehirn tat bei dem schrecklichen Gedanken. Er rat-
terte weiter seine Rede herunter, unaufhaltsam.
„Irgendwann wird er dann zurückkommen und dich tot
vorfinden. Es wird nach Selbstmord aussehen. Zerfressen
von Schuldgefühlen und Wut wird alles Menschliche in ihm
sterben und dann wird er bereit sein für mich. Für mich und
mein Angebot. Ich werde als sein Retter auftreten. Der ver-
lorene Vater, der seinem Sohn ein neues Wolfsleben, fernab
jeglichen menschlichen Schmerzes, anbietet“, verkündete er
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in einem klischeehaften Ton, den ich sonst nur aus seichten
Frauenfilmen kannte. Die Worte, die darauf folgten, waren
so hasserfüllt und voller Schlechtigkeit, dass sich seine ganze
Körperhaltung veränderte und seine Stimme wieder diesen
„tierischen“, knurrenden Klang annahm. „Ich weiß, er wird
mir folgen und bald danach wird er mein Stellvertreter und
es wird nicht lange dauern und er wird sein wie ich. Wie es
sein sollte. Mein Sohn von meinem Wolfsblut.“
Das Blut gefror mir in den Adern, als ich die Bedeutung
der Worte verstand, als ich die Unausweichlichkeit des grau-
samen Schicksals dahinter zum ersten Mal deutlich spüren
konnte. Würde es tatsächlich so kommen? Wäre ich in nicht
einmal 30 Tagen tot und mein Istvan für immer verloren,
schlimmer noch, auf dem Weg, ein gefühlloses Monster zu
werden wie sein … Vater?
Nein. Auf keinen Fall. Das konnte ich nicht zulassen. Es
musste irgendeinen Weg geben, das zu verhindern. So gut er
auch alles geplant hatte, niemand konnte alle Eventuali täten
berücksichtigen. Ich musste nur lange genug die Spritze von
meiner Haut fernhalten, bis ich einen Ausweg wüsste. Er
schien meine Gedanken zu erahnen. Er stand vom Stuhl auf
und versicherte mir, nun gegen die Wand gelehnt, mit einem
Kopfschütteln: „Zwecklos. Du wirst keinen Ausweg finden.
Ich warte schon zu lange darauf, als dass ich jetzt zuließe,
dass noch irgendetwas dazwischenkäme. Das Einzige, wo-
rauf ich noch warte, ist der Sonnenaufgang, der übrigens
bald kommt, damit ich dir die Spritze geben kann, ohne dass
du dich sofort verwandelst.“
Er hatte recht. Die Zeit lief mir davon. Die Uhr an seinem
Handgelenk zeigte bereits kurz vor fünf an. In etwa einer
halben Stunde würde der Morgen anbrechen und das Unheil
seinen Lauf nehmen. Wie sollte ich, in nur einer knappen
halben Stunde, einen Ausweg aus einer ausweglosen Situa-
tion finden? Ich war verloren, und was mir den größten Kum-
mer bereitete, war, dass Istvan mit mir untergehen würde.
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Farkas war nun absolut schweigsam. Ich konnte seine Stim-
me ohnehin nicht mehr hören, ohne einen Nervenzusam-
menbruch zu bekommen. Das einzige Lebenszeichen aus
seinem starren Körper kam, als er immer wieder ungeduldig
durch die spartanischen Vorhänge spähte, ob der Morgen
schon anbrach. Er war dabei sehr darauf bedacht, dass kein
Mondstrahl auf seine
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