Wolfsfieber
irgendwie
gemerkt haben, was er war. Als er sah, dass du als Mensch
geboren wurdest, zog er sich zurück. Er war aber besessen
von dem Gedanken, dich an seiner Seite haben zu müssen.
Also kam er wieder. Doch deine Mutter beschützte dich,
deshalb …“
Mir brach die Stimme weg. Er vollendete meinen Satz. Den
Satz mit der schmerzhaftesten Erkenntnis für Istvan, die ihn
noch mehr verletzte als die Tatsache, Farkas Sohn zu sein.
„Hat er sie getötet? Er hat sie mir weggenommen. Mein
eigener Vater. Und dann hat er mich zu diesem Ding ge-
268
macht. Und jetzt wagt er es, zurückzukommen und die Frau,
die ich liebe, zu quälen.“ Er stand auf, tigerte im Zimmer hin
und her. Dann schrie er unerträglich laut:
„Bastard!“, und rammte dabei seine Faust gegen die Wand.
Der Verputz bekam sofort eine deutliche Delle von seinem
frustrierten Verzweiflungsschlag. Schreiend, mit Tränen in
den Augenwinkeln, sank er erneut zu Boden. Ich stürzte so-
fort zu ihm und umarmte ihn ungeschickt. Ich versuchte, ihn
mit meiner Umarmung zu halten, doch er fiel und fiel. Wer
könnte es ihm verdenken nach allem, was er erfahren und
ertragen musste. Sein Schmerz zerriss mich im Inneren. Ich
umarmte ihn weiterhin und er riss an meinem Hemd, um
sich festzuhalten. Ich weinte ebenfalls, für ihn, für uns. Ich
fühlte seinen Schmerz beinahe so deutlich, als wäre es mein
eigener. Es dauerte eine ganze Weile, dann erst beruhigte er
sich und umarmte mich fest und flüsterte mir ins Ohr:
„Es tut mir so leid. Verzeih mir, dass er dir das angetan
hat, meinetwegen. Bitte verzeih mir.“
„Es gibt nichts zu verzeihen. Du hast mich noch rechtzei-
tig gefunden und wir sind zusammen. Das ist alles, was zählt.
Wir finden einen Weg, damit klarzukommen“, versicherte ich
ihm und küsste ihn zärtlich auf die Wange und den Mund.
Istvan beruhigte sich etwas, doch ich konnte sehen, dass er
sich noch immer nicht verzeihen konnte.
„Hast du das Notizbuch noch?“, fragte ich ihn und merk-
te, dass ihn das völlig überrumpelte.
„Ja, es liegt in der Küche. Wieso?“, wollte er irritiert von
mir wissen.
„Du solltest es ab jetzt sehr gut verstecken. So, dass nur
noch du und ich Zugang dazu haben. Das war nämlich das
Schlimmste für mich. Zu sehen, wie Farkas aus dem Buch
vorgelesen hat und sich darüber lustig machte, es für seine
Zwecke ausnutzte.“
„Niemand wird je wieder eine Chance haben, es in die
Finger zu bekommen. Versprochen!“, beteuerte Istvan mir
und ich wusste, er würde schon dafür sorgen.
269
„Ich denke, dieser geringere Sohn ist es gewesen. Der
Mann, der auf deinem Dach war. Ich war mir zuerst sicher,
dass es Farkas gewesen sein musste, aber du hast ja gesagt,
es wäre ein Mann. Er kam vermutlich, um das Buch zurück-
zulegen, damit uns sein Fehlen nicht auffällt“, folgerte ich
nun zusammenfassend. Istvan stimmte meiner Annahme ni-
ckend zu.
„Istvan, was machen wir jetzt?“, fragte ich verunsichert
und hatte Angst vor seiner Antwort.
„Ich werde Serafina bitten, zu uns zu kommen, damit sie
auf dich aufpassen kann, während ich versuche, Farkas zur
Strecke zu bringen“, legte er kühl dar und die Klarheit seines
Vorhabens ließ mir das Blut zu Eis gefrieren.
„Bist du wahnsinnig? Das kannst du nicht machen. Das
ist genau, was er will. Er erwischt dich oder er schickt jeman-
den aus seinem Rudel, um mich zu holen und als Druck-
mittel zu missbrauchen. Der einzige Vorteil dieser Nacht
ist, dass ich durch seine Ausführungen einen, leider, ganz
guten Blick in seine kranken Gedankengänge erhalten habe.
Deshalb glaube mir, das wäre ein Fehler. Wir dürfen uns auf
keinen Fall trennen“, versuchte ich ihm klarzumachen. Die
Angst um ihn verstärkte meine Überzeugungskraft.
„Na gut, du hast mich überredet. Aber ich werde irgend-
etwas unternehmen müssen. Ich kann nicht zulassen, dass er
noch einmal eine Chance bekommt, in deine Nähe zu gelan-
gen. Ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, dass er dir das-
selbe antut wie meiner Mutter“, sagte er und blickte mich er-
schrocken über seine eigenen Worte mit gesenkten Lidern an.
„Er ist ein Monster, aber er ist auch clever. Er wird nicht
so dumm sein, sofort wiederzukommen. Du solltest nichts
überstürzen, nur weil du mich beschützen und sie rächen
willst, bitte!“, flehte ich ihn an.
„Vielleicht hast du ja recht. Allein hätte ich sowieso
schlechte Karten gegen seine Rudel,
Weitere Kostenlose Bücher