Wolfsfieber
damit auch zu einem normalen Verhalten mir
gegenüber. In den Nächten dieser vier Tage hielt er mich
zwar in seinen Armen, aber niemals als Mann, der eine Frau
liebt, sondern als eine schuldbewusste, verlorene Seele, die
das Einzige beschützt, was ihr noch geblieben war. Ich hass-
te dieses Gefühl. Diese Schuld, die ihn zwang, sich von mir
fernzuhalten und mich damit jeder Berührung beraubte.
Am Ende des vierten Tages kam endlich Bewegung in
unseren kleinen Käfig. Wir waren gerade ins ehema lige
Pfarrhaus gekommen, nachdem er mich wieder mal auf
einen Außentermin begleitet hatte, da läutete sein Telefon.
Er stürmte sofort zum Hörer und hob ab.
„Hallo“, sagte er in der eindeutigen Hoffnung, Serafinas
Stimme am anderen Ende zu hören.
„Na endlich. Ich warte schon seit Tagen. Hast du es ge-
lesen? … Ja, ich fürchte, es ist wahr.“
Er schwieg lange und hörte angestrengt zu. Ich war mir
sicher, es musste Serafina sein, die jetzt mit ihm sprach.
„Ja, ihr alle … So schnell wie möglich. Ich schicke dir die
weiteren Details.“
Wieder eine ewig lange Pause. Und ich hatte keine Ah-
nung, was besprochen wurde, und lauschte gebannt der Stil-
le. Dann antwortete er hastig:
„Nein, sie ist nicht verletzt, aber … Natürlich passe ich
auf, aber ich brauche euch. Bitte Serafina. Ich würde nie
darum bitten, wenn ich es allein könnte. Ja, du auch. Bis
bald.“
Er legte den Hörer auf und wirkte zum ersten Mal seit
Tagen erleichtert und zuversichtlich. Sogar seine Hautfarbe
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schien mir etwas gesünder. Er kam langsam auf mich zu, ich
saß gebannt auf der Ledercouch. Istvan setzte sich nun zu
mir und ließ sich auf die Rückenlehnen fallen, als wäre eine
schwere Last von ihm abgefallen. Er zog mich an seine Brust
und ich konnte seinen etwas ruhigeren Herzschlag hören,
der in den vergangenen Tagen ähnlich verrückt gespielt hat-
te, wie ich es eigentlich nur von meinem kannte. Ich musste
nun wissen, was Serafina ihm gesagt hatte, wie die Dinge
standen.
„Und, was hat sie gesagt?“, fragte ich ungeduldig.
„Sie wird kommen. Sie kommen alle. Serafina konnte zu-
erst nicht glauben, was ich ihr geschrieben habe. Sie macht
sich übrigens große Sorgen, dass dir etwas passieren könnte“,
ließ er mich wissen.
„Wieso sorgt sie sich derart um mich, wir kennen uns
doch kaum?“, fragte ich und war ganz verwundert über ihre,
anscheinend aufrichtige, Sorge.
„Die Valentins wissen leider so gut wie niemand sonst,
wie schwer es ist, Menschen vor unserer Welt und deren Ge-
fahren zu schützen. Ich habe dir doch erzählt, dass sie Men-
schen vor gewissen Übergriffen schützen. Außerdem weiß
Serafina genau, was du mir bedeutest“, erklärte er mir und
ich sah wieder diesen grünen, liebevollen Blick auf seinem
Gesicht, den ich schon so vermisst hatte.
„Oh, daran hätte ich denken können. Wann kommen sie
und wo wirst du sie eigentlich unterbringen?“, fragte ich Ist-
van und wurde mir des Platzproblems bewusst.
„Ich habe noch ein anderes Haus, einen Weinkeller auf
dem Rohnitzer Weinberg. Eigentlich benutze ich es nicht.
Ich brauche es nur, weil es eine Garage für den Camaro hat
und genug Platz für das Spezial-Archiv, das besser niemand
sehen sollte!“
Da also stellte er den Camaro ab. Ich hatte mich schon
die ganze Zeit gewundert, wo er den Wagen ließ, wenn er
nicht vor dem Haus oder der Bibliothek stand. Schließlich
hatte das Pfarrhaus weder eine Garage noch eine Einfahrt.
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Das würde auch das Platzproblem lösen. Die Valentins wür-
den also dort schlafen. Gut. Ich könnte mir ohnehin nicht
vorstellen, wie es diese rumänischen Fremden schaffen soll-
ten, hier bei uns nicht aufzufallen.
„Und bis wann werden sie hier eintreffen?“, fragte ich
nochmals und konnte es kaum noch erwarten, endlich ein
paar Verbündete zu haben, die Istvan zur Seite standen.
„Morgen Abend sind sie bestimmt schon hier. Wir wer-
den dort auf sie warten.“ Die wiederentdeckte Zuversicht
war seiner Stimme deutlich anzuhören.
Also besorgten wir den gesamten nächsten Tag lang Vor-
räte für unsere besonderen Gäste. Wir konnten nicht zusam-
men zum Supermarkt. Die, immer noch geltende, Geheim-
haltung und die Ankunft der bevorstehenden Hilfstruppen
bewirkten, dass Istvan mich tatsächlich allein Besorgungen
machen ließ. Ein kleines Wunder. Wir teilten die Aufgaben
unter uns auf. Während ich genug Essen im Supermarkt
einkaufte
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