Wolfsfieber
wirst einen Weg finden. Und jetzt, da wir es wissen,
sind wir im Vorteil. Farkas hat seine beste Waffe verloren,
das Überraschungsmoment“, erinnerte ich ihn.
„Das ist wahr. Und soweit ich weiß, jagt er nur in Wolfs-
form. Hat er vor, uns erneut anzugreifen, wird er auf den
nächsten Vollmondzyklus warten. So lange können wir uns
vorbereiten. Ich versuche, Serafina und die anderen Valen-
tins zu kontaktieren. Zusammen mit ihnen hätten wir eine
gute Chance. Aber bis dahin müssen wir vorsichtig sein“, er-
mahnte er mich nochmals.
Ich nickte zustimmend und schmiegte mich an seine
Brust. Ich hatte Angst vor dem, was noch vor uns lag, Angst
davor, ihm könne etwas passieren. Wie sollten wir fast
einen ganzen Monat überstehen, in dem wir nichts anderes
taten, als uns zu sorgen, was uns in der ersten Vollmond-
nacht erwarten würde? Ich konnte kaum glauben, dass wir
erst vor Kurzem so glücklich gewesen waren. Istvan hatte
endlich angefangen, sich zu entspannen und meine Nähe
zuzulassen. Wir hatten doch erst vor ein paar Wochen zu-
einandergefunden, waren ein Liebespaar geworden und sa-
hen uns nun mit diesen Hürden und Gefahren konfrontiert.
Istvans Vergangenheit schien ihn immer wieder einzuholen
und langsam konnte ich verstehen, wieso er ständig Angst
gehabt hatte, sich auf mich einzulassen, sich überhaupt ein
menschliches Leben einzurichten, wenn es ständig zu zer-
brechen drohte. Obwohl ich seine Wärme und Geborgen-
heit noch fühlte, spürte ich auch etwas anderes. Ich konnte
die dunklen Wolken sehen, die in Istvans Gedankenwelt
aufzogen und sein neu entdecktes Leben überschatteten.
Ich hatte Angst, sie könnten eine Gefahr für unsere noch
junge Liebe sein, und diese schrecklichen Wahrheiten aus
seiner Vergangenheit könnten unser Band, das wir gerade
erst geknüpft hatten, wieder zerreißen. Das Einzige, was ich
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hoffen konnte, war, dass Istvan es nicht so weit kommen
lassen würde.
„Joe, an eines musst du dich gewöhnen“, deutete er an.
„Woran denn?“, fragte ich kleinlaut und sah zu ihm hoch.
Seine grünen Augen blickten mich ernst an. Mit seiner be-
sorgten, rauen Stimme ließ er mich wissen:
„Von nun an bin ich dein Schatten!“
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16. Ruf nach Verbündeten
Istvan hatte es mir ja prophezeit. Aber es war dennoch schwer
für mich, mich daran zu gewöhnen. Er wurde tatsächlich
zu meinem Schatten. War ich zu Hause und arbeitete an
meinen Kritiken, blickte er mir über die Schulter. Nachts
überwachte er meinen Schlaf, ängstlich, ständig davor ban-
gend, dass ich doch noch Albträume von meiner Entführung
bekommen würde. Doch ich konnte gar keine Angstträume
haben, da ich meistens sowieso nicht einschlafen konnte.
Seine ständige Angespanntheit übertrug sich auf mich und
wühlte mein Inneres auf. Hatte ich einen Auftrag für das
Lokalblatt zu erledigen, folgte er mir tatsächlich im Camaro
und beobachtete jeden meiner Schritte durch die getönten
Scheiben hindurch. Es funktionierte überhaupt nicht. Sei-
ne Anwesenheit und Besorgnis führten dazu, dass ich mich
nicht konzentrieren konnte. Meine Interviewpartner muss-
ten mich für völlig zerstreut oder unprofessionell halten. Ich
stammelte die meisten Fragen und stellte manche mehrmals
wie ein grüner Anfänger. Es war unangenehm und, wie ich
fand, vollkommen überzogen. Ich war mir sicher, dass Far-
kas nicht so bald wiederkommen würde, und ich hatte nicht
vor, in der Zwischenzeit eine Gefangene in meinem eige-
nen Leben zu sein. Bereits nach vier Tagen wusste ich mit
Bestimmtheit, dass es so nicht weitergehen konnte. Wann
würde sich Serafina endlich melden? Er hatte ihr immerhin
schon vor Tagen die Botschaft im Internet hinterlassen.
Ich liebte Istvans Nähe ohne Zweifel, aber das hier hatte
nichts mehr mit Nähe zu tun. Es war eine 24-Stunden-Über-
wachung. Er konnte noch nicht mal die Ruhe finden, mich
zu küssen oder gar etwas mehr. Er fing an, sich wieder in sich
selbst zurückzuziehen. Für sich hatte er beschlossen, dass
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er keinen Vater hätte, nur eine Mutter. Er griff das Thema
seiner neu entdeckten Herkunft nicht wieder auf und an-
gesichts seiner Dauerbesorgtheit versuchte auch ich, diese
Reizthemen zu vermeiden. Ich bat ihn, immer mit meinem
sanftesten Tonfall, um etwas mehr Freiheiten. Keine Chan-
ce. Ich wünschte mir verzweifelt, endlich Nachricht von
Serafina zu erhalten, damit er wieder zu sich selbst finden
könnte und
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