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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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Diesen Satz vollendete ich und verstummte wieder. Ich
    konnte es ihm einfach nicht sagen, nicht, wenn er mich so
    besorgt ansah. Nicht, wenn ich dabei in seine grünen Augen,
    die ich so sehr liebte, sehen musste. Er sah, dass ich in Be-
    drängnis war, und versuchte, mir da herauszuhelfen. Istvan
    legte mir besänftigend den Arm um die Schultern und blick-
    te mir innig in die Augen, nicht wissend, dass er es mir damit
    noch schwieriger machte.
    „Gott, was hat er dir bloß angetan? Was wollte er von dir?
    Woher wusste er von dir? Ich dachte, wir wären so vorsichtig.
    Wie konnte ich so dumm sein, dich in Gefahr zu bringen? Wie
    konnte ich nur zulassen, dass dich meine verkommene Welt
    erreicht?“, stammelte er, sich selbst anklagend, unaufhaltsam
    vor sich her. Ich musste nun schnell handeln, bevor er begann,
    sich in seinem Selbsthass zu verlieren. Ich nahm sein Gesicht
    in meine Hände und blickte ihn fest und entschlossen an.
    „Es ist nicht deine Schuld, verstehst du? Es ist nicht
    deine Schuld. Er ist es, er ganz alleine!“, deklarierte ich mit
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    überzeugender Stimme. Doch am Ende meiner Feststellung
    brach ich dennoch in Tränen aus, verursacht durch die Un-
    ausweichlichkeit der schrecklichen Wahrheit.
    Also erzählte ich alles von Anfang an. Ich erzählte von
    meiner Entführung, von meiner Gefangennahme, von Far-
    kas’ Gemeinheiten und Brutalität. Ich erzählte von seinem
    perfiden Plan, davon, wie er über mich, über meine Zweifel
    an Istvan herankommen wollte, ließ aber noch im Unklaren,
    wer Farkas tatsächlich war. Ich berichtete von meiner Angst,
    er könne mich verwandeln, von meiner Angst, Istvan zu ver-
    lieren. Er hörte aufmerksam zu. Er versuchte es. Ich konnte
    aber sehen, wie der Zorn in ihm immer größer wurde und
    wie ihm jedes Mal, wenn ich von meiner Angst oder von der
    Grobheit Farkas’ berichtete, fast das Herz stehen blieb. Als
    ich eine Minute still war und er etwas Zeit zum Nachdenken
    hatte, wurde er sich der Fehler und Auslassungen in meiner
    Erzählung bewusst.
    „Ich hatte bei Farkas von Anfang an so ein scheußliches
    Gefühl. Aber ich verstehe nicht, wieso er so viel Aufwand auf
    sich nimmt und ausgerechnet mich dazu zwingen will, sein
    neuer Leitwolf zu werden. Wieso ich?“, fragte er völlig frust-
    riert und ich spürte, dass er sich nicht um sich selbst grämte,
    sondern dabei an mich, an uns dachte.
    „Weil du …“, begann ich und verstummte sofort wieder.
    Mein Herz pochte nun.
    „Du hast Angst. Ich kann es deutlich hören. Wieso hast
    du so große Angst? Doch nicht vor mir?“, fragte er mit aufge-
    rissenen Augen. Er war aus seiner sitzenden Position hoch-
    geschnellt und stand nun vor mir. Istvan blickte auf mich
    herab, vor Furcht verdunkelte sich sein ganzes Wesen. Ich
    sah nicht zu ihm auf. Ich konnte es nicht. Ich schloss die
    Augen und sprach es aus, flüsternd:
    „Weil er dein Vater ist!“
    Es war totenstill. Im ganzen Zimmer schien sich nicht ein-
    mal die Luft zu bewegen. Als ich endlich den Mut fand, die
    Augen zu öffnen, entdeckte ich Istvan an der Wand gegen-
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    über. Er war in sich selbst zusammengesackt und lehnte mit
    dem Rücken gegen die Wand. Er raufte sich die Haare. Seine
    Finger waren verkrampft mit seinen Sandsträhnen bedeckt.
    Sein Blick war leer, verletzt und auf den Boden geheftet. Er
    wiederholte immer wieder, kaum hörbar.
    „Nein. Das kann nicht sein. Das ist nicht möglich. Nein.“
    Es brach mir das Herz, ihn so zu sehen. Ihn in dieser
    Verzweiflung zu wissen und nichts dagegen tun zu können,
    war unerträglich. Vielleicht hätte ich es ihm nicht erzählen
    sollen. Aber das war nur ein unerfüllbarer Wunschtraum. An
    dieser Wahrheit führte kein Weg vorbei.
    „Istvan“, sein Name klang nun aus meinem Mund wie ein
    Klagelied.
    „Es tut mir so leid. Ich wünschte, es wäre nicht wahr.
    Aber es ist das, was er sagte. Er hat nicht gelogen. Er ist
    dein … Er ist es wirklich.“
    „Wieso bist du dir so sicher? Ich muss es wissen. Sag es
    mir!“, befahl er mir in einem beinahe harten Ton.
    „Ich kann nicht“, sagte ich ihm mit Tränen in den Augen
    und in der Stimme.
    Ich atmete lange ein und ließ die Wahrheit aus mir he-
    rausströmen, um mich von ihr endlich zu befreien und ihn
    damit im selben Moment zu belasten.
    „Er hat mir erzählt, wie er dich gebissen hat, als du fünf-
    zehn warst, und wie er dich davor gezeugt hat. Er hat deine
    Mutter verführt und danach verlassen. Sie muss

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