Wolfsfieber
Erwähnung seines Geheimarchivs hatte diese Unsicher-
heit bei mir bewirkt. Gleich hinter mir war die Treppe zum
Dachausbau.
„Du kannst die Decken raufbringen. Das Schlafzimmer
und das Bad sind oben“, deutete er mir an und ließ mich
allein hinaufgehen.
Die Holzstiegen waren nicht besonders alt, dennoch
krächzten sie bei jedem meiner Schritte. Das Dachgeschoss
selbst war eigentlich ein einziges Schlafzimmer. Es standen
drei Schlafsofas um einen kleinen Tisch gruppiert, so, als
280
hätte er es bereits für eventuelle Besuche der Valentins ein-
gerichtet. Immerhin hatten exakt sechs Personen Platz zum
Schlafen und das entsprach genau der Größe des Valentin-
Rudels. Ich legte jeweils zwei Decken auf jedes Sofa und sah
mir das kleine Badezimmer am Ende des Raumes an. Eigent-
lich war es nur ein Abstellraum mit einer winzigen Dusche
und einem etwas größeren Waschbecken. Allerdings fragte ich
mich schon, wo ich mit Istvan bleiben sollte? Oder plante er
etwa, dass wir beide nicht die Nacht hier verbringen sollten?
Ich ging wieder die Treppe hinab und rief seinen Namen.
„Hier draußen“, hörte ich ihn vor dem Haus rufen. Ich
ging zurück zu meinem Auto und fand ihn, vergraben in wei-
teren Einkäufen, in den Kofferraum gebeugt.
„Sag mal, wo sollen eigentlich wir schlafen?“, fragte ich
etwas verwirrt.
„Keine Sorge, daran habe ich gedacht. Im alten Steinkeller
lagern noch zwei Feldbetten, die für uns reserviert sind. Hast
du eigentlich keine Probleme damit, die Nacht mit sieben
Werwölfen verbringen zu müssen, besonders nach dem, was
passiert ist?“, wollte er von mir wissen und fixierte mich prü-
fend. Ich spürte genau, dass er jetzt auf jede kleine Reaktion
meines Herzschlages und meines Atems achten würde, und
war bemüht, mich so selbstsicher wie möglich zu geben.
„Nein, natürlich nicht. Serafina ist deine Freundin und
nach allem, was du mir über Valentin und die anderen er-
zählt hast, wäre ich verrückt, irgendwo anders sein zu wollen
als in ihrer Nähe, besonders nach alledem!“
Ich denke, ich hatte es geschafft, ihm diese Sorge aus-
zutreiben. Zumindest eine, blieben noch neunundneunzig
andere Sorgen, von denen ich Istvan befreien musste.
Nach einer Stunde war alles Mitgebrachte verstaut und
wir versuchten, es uns etwas gemütlich zu machen. Ich
nahm mir einen der sechs Stühle und setzte mich an das
große Fenster, durch das man den ganzen Abhang des Wein-
gebietes überblicken konnte. Es wurde langsam kalt. Immer-
hin war es noch Februar, und auch wenn Istvan und seine
281
Freunde die Kälte nicht spürten, ich nahm sie überdeutlich
wahr. Als Istvan sah, dass ich mich in eine Decke gehüllt hat-
te, zündete er den Kamin an. Es dauerte nicht lange und es
breitete sich diese duftende, schwere Hitze eines Holzfeuers
im ganzen Raum aus. Istvan nahm sich ebenfalls einen Stuhl
und setzte sich zu mir. Wir starrten schweigend aus dem
Fenster. Er legte seinen Arm um mich und ich konnte füh-
len, wie die Hitze des Kamins und die Wärme seines Arms
mich müde machten und beinahe einschläferten.
Doch noch bevor ich meine Augen schließen konnte, fuhr
Istvan in seinem Sitz hoch, wie er es immer tat, wenn er ein
Geräusch gehört hatte, das noch nicht bis zu mir vorgedrun-
gen war.
„Sie kommt. Ihr Wagen ist bereits an der Kurve“, bemerk-
te er schnell und stürzte zum Eingang. Ich konnte ihm erst
folgen, nachdem ich mich von der Decke befreit hatte. Er
wartete am Hauseingang, und bis ich zu ihm getreten war,
kam auch schon der Wagen auf uns zu. Es war schon sehr
dunkel, also sah ich nur, dass es ein dunkler BMW war, der
sehr langsam auf uns zusteuerte. Er schien auch getönte
Scheiben zu haben, denn ich konnte nicht sehen, wer am
Steuer saß. Jemand ließ die Scheiben herunter und bald lä-
chelte uns Serafinas schönes Gesicht schwach an.
„Hallo! Schön, euch wiederzusehen, auch wenn ich mir
andere Umstände gewünscht hätte“, begrüßte uns die noch
immer umwerfend schöne Serafina.
„Hallo“, stammelte ich, etwas eingeschüchtert von ihrer
Gegenwart.
„Es ist auch schön, dich zu sehen. Kommen die anderen
nach?“, fragte Istvan und spielte damit auf Serafinas leere
Autositze an.
„Ich glaube, ich muss dir einiges erklären. Lass uns doch
erst hineingehen, ja?“, bat sie höflich, woraufhin Istvan zu-
stimmend nickte. Ich konnte aber ganz genau sehen, wie
wieder dieser sorgenvolle Blick auf
Weitere Kostenlose Bücher