Wolfsfieber
Mal, dass ich mit dir am Arm in der Öf-
fentlichkeit sein darf. Das Letzte, was ich will, ist, dass du
dabei die ganze Zeit beschämt zu Boden siehst. Hast du gar
nicht nötig. In diesem Punkt kannst du dich ganz auf mich
verlassen, mein Pfirsich“, stellte er klar und küsste mich auf
die Wange. Wir fuhren noch schnell bei mir vorbei, damit
ich mir ein Paar passende Schuhe anziehen und den schwar-
zen Mantel holen konnte. Meine billigen Schuhe, die ich
ansonsten ohne Bedenken trug, wirkten jetzt ziemlich un-
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passend. Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen.
Ich ging schnell noch in mein Zimmer und bürstete meine
Haare. Irgendwo fand ich noch einen schwarzen Haarreif
aus Satin, der mir wenigsten den Anschein einer Frisur in
den ansonsten naturgewellten Haaren verlieh. Ich legte noch
schnell einen rosa Lippenstift auf, um wenigstens ein biss-
chen so auszusehen, als würde ich mir bei meinem Äußeren
Mühe geben. Als ich wieder nach unten kam, saß er in der
Küche und ich bemerkte, dass er gerade dabei war, das Vor-
warn-Handy zu checken. Ich tat so, als würde ich es nicht
sehen, um die Stimmung des heutigen Abends nicht zu zer-
stören.
„Fertig!“, rief ich in seine Richtung und zog mir den Man-
tel an.
„Wenn ich mir dich so ansehe, dann bin ich mir sicher,
dass Violetta heute Abend bestimmt nicht die aufregendste
Frau in der Oper sein wird!“
Auch wenn sein Kompliment reichlich überzogen war,
hörte ich an seiner Stimme, dass es ehrlich gemeint war, und
wurde ganz verlegen.
„Danke“, wisperte ich. Er trug einen schwarzen Anzug
und eine blau-schwarze Krawatte. Ich hatte ihn noch nie so
gesehen. Normalerweise machte ich mir nichts aus diesem
Aufzug bei Männern. Aber Istvan wirkte im feinen Zwirn ge-
nauso umwerfend wie in seiner Jeans. Das hatte bei ihm mit
dieser natürlichen Anmut zu tun, die er nie verbergen konn-
te. Man merkte ihm an, dass er noch eine Zeit kannte, in
der es völlig normal war, ständig so gekleidet herumzulaufen.
Etwas, das ich mir kaum vorstellen konnte. Er brachte mich
zum Auto und führte mich dabei wieder mit seiner Hand
in meinem Kreuz. Irgendwie konnte er sich den Gentlemen
nie ganz verkneifen. Obwohl er doch nie Frauen ausgeführt
hatte, wie er mir immer wieder versicherte.
Wir fuhren über das Günser Gebirge nach Wien. Auf
der Autobahn raste er dann mit schnellem Tempo über die
Fahrbahn. Um diese Zeit fuhren nicht besonders viele Autos
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stadteinwärts und so lagen wir gut in der Zeit. Die Oper soll-
te um halb acht beginnen und wir würden schon um sieben
ankommen. Auf der halben Strecke der Autobahn klingelte
plötzlich mein Handy. Ich kannte die Nummer. Es war mei-
ne Mutter. Ich konnte mir nicht vorstellen, weshalb sie heu-
te anrief. Sie hatte mir schon gestern gratuliert und eigent-
lich vermied sie unnötige Anrufe. Der Auslandstarif war zu
teuer dafür. Ich nahm ab und war mir in derselben Sekunde
bewusst, dass es das erste Mal war, dass ich mit einem mei-
ner Eltern in seiner Anwesenheit sprach. Es wurde mir etwas
mulmig zumute.
„Hallo. Wie geht es euch?“, fragte ich schnell, als ich ab-
hob.
„Ja, es geht uns gut. Was machst du gerade?“, wollte mei-
ne Mutter wissen. Sie fragte am Telefon immer nach dem
Standort oder der Tätigkeit, die man gerade ausführte. Eine
Eigenheit von ihr.
„Ich bin gerade auf dem Weg nach Wien. Eine alte Freun-
din aus dem Studium hat mich zu meinem Geburtstag in die
Oper eingeladen“, log ich und sagte dennoch halbwegs die
Wahrheit. Das war meine Art, mit dem Lügen klarzukom-
men. Istvan reagierte etwas irritiert, als er meine Flunkerei
mit verfolgte.
„Ach so, dann will ich dich nicht beim Autofahren stören.
Ich wollte dir nur kurz Bescheid geben, dass alles Weitere
geregelt ist. Wir können also länger bleiben“, sagte sie mir
und ich konnte im Hintergrund den Straßenlärm von Kairo
hören.
„Das freut mich. Ich wünsche euch noch einen schönen
Abend. Grüßt die Pyramiden von mir. Ich rufe nächste Wo-
che wieder an, wie abgemacht. Ciao.“
„Pass gut auf dich auf, du fehlst uns!“, schniefte meine
Mutter und ich hörte, dass es ihr schon schwer fiel, meine
Stimme länger zu hören.
„Ihr mir auch. Ciao!“, antwortete ich schnell und legte
auf, ehe meine Mutter anfangen konnte zu weinen.
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„Was ist geregelt?“, fragte Istvan wie aus der Pistole ge-
schossen.
„Könntest du es bitte lassen, meine
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