Wolfsfieber
Servierplatten.
„Eigentlich wollten wir uns erst am Nachmittag sehen.
Gibt es etwas Wichtiges?“, fragte er mich und platzierte die
Milchkannen auf die Tabletts.
„Na gut, es ist so. Ich habe heute Geburtstag und mein
Bruder und Carla haben mich zu einem Essen in Wart ein-
geladen, heute Abend. So, jetzt ist es raus!“
„Ach so, ich verstehe. Du willst da hin und ich kann nicht
da hin. Kann es sein, dass du denkst, ich würde versuchen,
dich davon abzuhalten?“, fragte er erstaunt und schien etwas
beleidigt über meine Annahme.
„Na ja, immerhin warst du nicht gerade verhandlungsbe-
reit, was die nächtlichen Freigänge anging. Aber ich muss da
hin und mal ehrlich, es sind ständig Leute um mich herum“,
merkte ich an, um die Unbedenklichkeit des Essens hervor-
zuheben.
„Es ist dein fünfundzwanzigster Geburtstag. Es ist klar,
dass du mit deinen Freunden feiern willst. Ich schlage dir
einen Kompromiss vor. Ich bin ein braver Junge und mache
keinen Aufstand wegen heute Nacht, wenn du dafür den
Sonntag für mich freihältst. Schließlich hab ich auch einen
Anspruch auf einen Tag mit dem Geburtstagskind, oder?“,
bot er an und lächelte mich breit an. Seine Augen funkelten
erwartungsvoll.
Ich umarmte ihn linkisch.
„Da fragst du noch? Natürlich bin ich einverstanden. Der
Sonntag ist nur für Sie reserviert, Mister“, sagte ich schmun-
zelnd und vergrub mein Gesicht an seiner Schulter.
Er presste mich plötzlich von sich und richtete sein ver-
rutschtes Hemd. Zuerst verstand ich nicht, doch dann hörte
ich es ebenfalls. Zwei der Frauen kamen in unsere Richtung
und er war nur auf Diskretion bedacht. Als sie die Schiebe-
tür aufzogen, war die Szene schon völlig unverfänglich. Die
beiden waren gekommen, um die Getränke und den Kuchen
zu holen. Ich half Istvan noch, die Tabletts nach draußen zu
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bringen, und machte mich schnell davon, ehe die Damen
doch noch Lunte rochen.
Der Samstag kam schnell und ich brauchte nicht allzu lange,
um mich auf das Geburtstagsessen vorzubereiten. Ich trug
ein schlichtes, schwarzes Jersey-Kleid, eines der wenigen
Kleider, die ich überhaupt besaß. Ich traf mich mit Paula
und Viktor in ihrem Haus. Von da aus fuhren wir weiter mit
Viktors Wagen nach Wart. Um Punkt acht kamen wir beim
Chinesen an und ich sah, dass Carla und Christian schon
auf uns warteten. Carla hatte dafür gesorgt, dass unser Tisch
etwas geschmückt war. Rote Rosen steckten in roten Glas-
vasen und der Tisch war festlich gedeckt. In der Mitte des
langen Tisches wartete ein Käsekuchen mit roten Kerzen da-
rauf, verspeist zu werden. Ich umarmte Carla zur Begrüßung
und sie und Christian wünschten mir alles Gute. Nachdem
wir uns gesetzt hatten, musste ich einige Anekdoten über
mich ergehen lassen, wie eigentlich jedes Mal, wenn wir in
dieser Runde zusammensaßen. Ich lachte über mich, über
die peinlichen Geschichten aus der Kindheit, die mein Bru-
der zum Besten gab, über die Dummheiten, die mir in der
Schul- und Studienzeit passiert waren und die Carla aus-
schmückte. Es war alles in allem ein gelungener Abend.
Christian und Carla hatten mir das schönste Geschenk ge-
macht. Sie schenkten mir eine DVD-Kollektion mit Holly-
wood-Klassikern, die Christian sorgfältig eingepackt hatte.
Der erste Gedanke, der mir beim Auspacken kam, war: Ich
muss diese Filme unbedingt mit Istvan sehen, der sie auch zu
würdigen weiß.
Christian sah zwar ganz anders aus als mein Bruder, er
hatte nämlich feine, zarte Gesichtszüge und braunes, län-
geres Haar, ein echter Frauentyp, aber auch er hatte dieses
angenehme Wesen, bei dem man sich immer gut aufgehoben
fühlt und bei dem es leichtfällt, lustig und locker zu sein. Ich
war froh, dass Carla mit ihm zusammen war. Er tat ihr sehr
gut, denn sie war zwar ein sehr humorvoller Mensch, neigte
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jedoch manchmal dazu, die Dinge zu ernst zu nehmen und
sich zu sehr zu sorgen. Von daher passten sie gut zusammen.
Während des Essens hatte ich mehrmals diese vertrauten
Blicke zwischen ihnen wahrgenommen, die ich schon von
Paula und Viktor kannte. Ich fragte mich, ob Istvan und ich
uns je so würden ansehen können, ganz offen. Es machte
mich etwas traurig. Normalerweise machte es mir nichts
aus, zwischen Paaren zu sitzen, nicht mal als Single. Doch
jetzt war ich mir überdeutlich bewusst, am Ende einer Tafel
allein zu sein, während sich links und rechts von mir Liebes-
paare befanden. Ich
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