Wolfsfieber
wegzubrechen. Dann erkannten
meine Augen das vertraute Grün der näher kommenden
Wolfsaugen. Istvan kam zurück. Aber die Geschwindigkeit,
in der er auf mich zukam, gefiel mir nicht. Er machte den
Eindruck, gehetzt zu werden, nicht nur auf etwas zuzulau-
fen, sondern genauso getrieben vor etwas zu flüchten. Er-
neut überschlug sich mein Puls und das Blut rauschte in
meine Ohren. Wovor auch immer er weglief, ich konnte es
nicht sehen. Er war nur noch ein paar Schritte von mir ent-
fernt, als er endlich seine Bewegungen verlangsamte. Als er
vor mir stand, bemerkte ich sofort den vorwurfsvollen Blick
in seinen Augen. Er war mir böse, weil ich aus dem Wagen
gestiegen war. Ich sah auf ihn herunter und versuchte ent-
schuldigend zu lächeln. Doch plötzlich schnappte sein Maul
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nach mir, was mich zu Tode erschreckte, und er biss sich
in meinem Jeanssaum fest. Seine Schnauze zerrte mit aller
Kraft an mir und versuchte, mich in Richtung des Wagens zu
dirigieren. Ich verstand sofort. Ich sollte gefälligst zurück ins
Auto. Aber wieso benutzte er diese unsanfte Art, um mich
dazu zu bewegen? Ich musste nicht lange erst darüber nach-
denken. Schon als ich die Frage in meinem Kopf zu Ende
formuliert hatte, begannen meine Sinne, den Grund für sei-
ne gehetzte Panik zu erkennen. Am Hügel vor mir tauchten
weitere blitzende Augenpaare auf. Vier an der Zahl. Zwei
Wölfe kamen in einem schier unglaublichen Tempo auf Ist-
van und mich zugestürmt. Sie schienen mir derart schnell zu
sein, dass ihre Pfoten kaum noch den Waldboden berühr-
ten. Der Schock über ihre Anwesenheit ließ mich erstarren
und ich konnte nicht einmal die Autotür vor mir in die Hand
nehmen. Aber Istvan und sein Wolfskörper holten mich aus
meiner panischen Trance. Er zog noch einmal heftig an mei-
ner Jeans und knurrte mich verzweifelt an. Mit der Schnauze
stupste er in Richtung des Autos. Ich reagierte automatisch.
Von da an ging alles unfassbar schnell. Ich hechtete in den
Wagen und zog die Tür mit zitternden Händen hinter mir zu.
Ich verriegelte alle vier Türen und presste mich in den Fah-
rersitz. Als ich aus der Windschutzscheibe starrte, um nach
Istvan zu sehen, war da nichts, noch nicht einmal ein Ge-
räusch. Wo er geblieben war, konnte ich mir nicht erklären.
Ich lehnte mich weit über das Lenkrad und versuchte, tiefer
in den Wald zu sehen, als genau in der Sekunde ein weißer
Wolf auf die Motorhaube sprang und mich mit gefletschten
Zähnen anknurrte. Reflexartig schnellte ich in meinen Sitz
zurück und konnte meine aufgerissenen Augen nicht von
dem aggressiven Tier abwenden, das jede winzige Bewegung
von mir verfolgte. Dann wurde ich durch ein jaulendes Ge-
räusch von den wasserblauen Tieraugen vor mir weggerissen.
Von links hörte ich ein schmerzverzerrtes Jaulen, das nur von
ihm stammen konnte. Ich kannte seine Wolfslaute mittler-
weile gut genug, um sie nicht mit anderen zu verwechseln.
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Das Herz blieb mir stehen. Aber ich konnte ihn nicht sehen.
Erst nachdem der weiße Wolf vor mir mich noch ein paar
Mal angeknurrt hatte, tauchte im Rückspiegel Istvans Wolfs-
gestalt auf. Ich wendete abrupt den Kopf und verriss mir da-
bei schmerzhaft den Nacken. Die Bedrohung vor mir schien
mir plötzlich unwichtig, als ich Istvan von hinten auf mich
zu humpeln sah, verfolgt von einem schwarzen Wolf, der von
dem dunklen Hintergrund beinahe völlig verschluckt wurde.
Mein Herz setzte erneute aus. Istvan war verletzt und würde
erneut angegriffen werden. Der schwarze Wolf war nur eine
Länge hinter ihm und sprang auf sein Rückgrat. Die heftige
Bewegung zog beide zu Boden und sie rangen miteinander.
Dann noch ein Jaulen, diesmal von dem pechschwarzen
Wolf. Ich stieß ein Dankgebet aus. Der schwarze Wolf wand
sich und das ermöglichte Istvan zu entkommen. Er sprang
mit einem gewaltigen Satz auf den Kofferraum und warf mir
einen kurzen Blick zu, dann hörte ich sein Gewicht auf dem
Autodach aufschlagen und sah instinktiv nach oben, was den
weißen Wolf ebenfalls veranlasste, in diese Richtung zu se-
hen. Zu spät. Istvan war bereits auf seinen Rücken gesprun-
gen und biss kräftig in seine Flanke. Der weiße Wolf jaulte
laut auf und fiel von der Motorhaube. Istvan gleich hinterher.
Jetzt konnte ich sie nicht mehr sehen, nur noch hören. Knur-
ren, scharren und ständig ein Jaulen. Mal von meinem armen
Istvan, mal von seinen brutalen Angreifern. Ich wusste nicht,
wie lange
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