Wolfsfieber
Wolfsfieber im Wald hinter uns brach-
ten. Hier würde er es schnell hinter sich haben und es würde
weniger langwierig und schmerzhaft vonstattengehen.
Langsam wurde es kalt. Wir näherten uns zwar langsam
dem Ende des Winters, doch nachts sanken die Temperatu-
ren gewaltig. Ich zog mir die Lederhandschuhe an. Istvan er-
laubte mir nicht, die Heizung im Wagen anzustellen, da das
verräterische Geräusch zu laut und zu leicht auszumachen
wäre. Er holte eine Decke aus dem Kofferraum und gab sie
mir. Dann stieg er wieder zu mir ins Auto, still und voller
Sorge. Er holte das Handy aus seiner Jeanstasche und legte
es vor sich auf das Armaturenbrett. Ich wickelte mich unge-
schickt in die Decke und schlug dabei mehrmals gegen das
Lenkrad. Er half mir dabei und schon allein durch die Nähe
seiner hilfsbereiten Arme wurde mir jetzt wohlig warm.
„Bevor es losgeht, noch ein paar Dinge. Sieh ab und an
nach dem blinkenden Punkt. Sollte er mehr als zehn Kilome-
ter schwanken, dann feure ein Signal ab. Ich komme dann
sofort zu dir. Steig nicht aus dem Wagen. Bitte!“, ermahnte er
mich zum hundertsten Mal. Ich nickte, wie schon so oft.
Das Licht im Wald begann sich zu verändern. Die Däm-
merung brach an. Die untergehende Sonne brachte nicht
nur die Schmerzen für Istvan mit sich, sondern ließ ihn seine
Nerven vollends verlieren. Er sprach nun mit schmerzver-
zerrter Stimme, während er sich im Wagen wand.
„Ich bin nie weit weg von dir, versprochen. Ich laufe die
Reviergrenzen ab. Sollte … Ah … ich auch nur eine einzige
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verdächtige Spur wittern, komme ich sofort zurück zu dir.
Ah … das hier ist Wahnsinn. Ich … Wie konnte ich dir nur
erlauben, so tief in meine Welt verstrickt zu werden. Was
bin ich für ein selbstsüchtiges Monster“, waren seine letzten,
schmerzverzerrten Wortfetzen, ehe er aus dem Auto fiel. Ich
stieg sofort aus dem Wagen, befreite mich aus der Decke
und eilte zu ihm. Die Verwandlung war im vollen Gange und
ging, wie erwartet, deutlich schneller. Schon jetzt verkrampf-
ten sich seine Muskeln, was es Istvan unmöglich machte,
selbst zur Decke auf dem Lagerplatz zu kommen. Also ver-
suchte ich, ihn vom Boden zu stemmen. Er war schwer und
sein Körper wehrte sich dagegen. Das Zittern erschwerte
es mir ebenfalls. Aber mit einiger Anstrengung meinerseits
humpelten wir gemeinsam bis zur Decke, auf die er mit
einem dumpfen Geräusch aufschlug. Als er sich bewusst
wurde, dass ich ihm wieder geholfen und ihn während der
Verwandlung berührt hatte und dazu ausgestiegen war, be-
kam er fast einen hysterischen Anfall.
„Bist du wahnsinnig? Geh sofort zurück ins Auto! Na los,
Joe! Sofort!“, war sein letzter Schrei, bevor das Menschliche
in ihm verdrängt wurde von dem Wolfswesen, das durch-
brach.
Als ich mich zurück ins Auto setzte, ließ ich ihn dennoch
nicht aus den Augen. Mit aufgerissenem Mund starrte ich
auf seinen verkrümmten, schrumpfenden Körper, der im-
mer mehr und mehr nach Wolf aussah. Bis ich die Wagentür
geschlossen hatte und mein Gesicht an der Fensterscheibe
platt drückte, war schon das Fell durchgebrochen und kurze
Zeit später erhob sich der vertraute Wolf an derselben Stelle,
an der ich Istvan, den Mann, zurückgelassen hatte. Der Wolf,
mein Wolf, und ich blickten uns durch die Scheiben des
Camaro an, während der Wald in dunkles, vom Mondlicht
durchflutetes Nachtlicht getaucht wurde. Istvan zögerte. Ich
fühlte, dass auch der Wolf mich nicht verlassen wollte. Aber
am Ende blieb ihm keine Wahl. Der Drang des Wolfes befahl
ihm zu rennen und seine Erinnerung rief ihm die Aufgabe,
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die es in dieser Nacht zu erfüllen galt, ins Gedächtnis. Bevor
er sich davonmachte, um die Grenzgebiete abzulaufen und
seine Patrouillen zu absolvieren, drehte er nochmals seinen
grauen Hals nach mir um. Die irisierend grünen Augen des
Wolfes Istvan starrten mich ein letztes Mal an. Dann rannte
er blitzschnell davon und wurde von den dürren Zweigen ver-
schluckt.
Sobald er weg war und ich allein in dem Auto zurück-
blieb, um mich der dunkle, verschlungene Wald, kroch die
Angst in meine Knochen. Ich hatte mich schließlich den
ganzen Tag angestrengt, meine Angstgefühle weitestgehend
zu verdrängen. Istvan durfte nämlich auf keinen Fall mitbe-
kommen, dass ich eine Heidenangst verspürte. Zu meinem
Vorteil fiel mir das Verdrängen von Angst schon immer eini-
germaßen leicht und seit meiner Grenzerfahrung mit
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