Wolfsfieber
Farkas sein. Ich weiß gar nicht,
wovon du sprichst“, stieß ich erschrocken hervor und starrte
fassungslos zurück.
„Nein, Istvan ist nicht wie Farkas. Natürlich nicht. Aber
du darfst dir keine Illusionen machen, Joe. In ihm, in uns
359
allen, schlummert ein Raubtier und in Extremsituationen
wird es ein Schlupfloch suchen, um durchbrechen zu kön-
nen. Und Istvan – er liebt dich so. Wenn er denkt, dass es
keine Hoffnung mehr gibt, wenn Farkas ihm alle Hoffnung
nimmt, wenn er dich … dann könnte es sein, dass der Wolf
in Istvan sich gegen ihn selbst wendet, vielleicht sogar gegen
dich!“, gestand sie mir zögerlich. Die Aufregung verzerrte
ihre Stimme.
„Serafina, Istvan hat mir nie auch nur einen Grund ge-
geben, um an ihm zu zweifeln. Er hat mich gerettet. Ohne
ihn wäre ich schon lange tot und er hat mich seither immer
beschützt. Ich weiß, dass du es nur gut meinst mit mir. Dass
es zu deinen Aufgaben gehört, Menschen zu schützen, aber
ich werde Istvan nie verlassen. Nie.“
„Ich wusste, dass du das sagen würdest. Ich hoffe, du hast
recht. Aber solltest du dennoch eine Veränderung dieser Art
an Istvan bemerken, dann versprich mir, dass du zumindest
darüber nachdenkst zu gehen, wenn es nicht anders geht.
Ich flehe dich an. Er würde es nicht überleben, wenn er …
Denk einfach darüber nach, versprich mir zumindest das!“,
bat sie mich eindringlich.
„Na gut. Ich denke darüber nach, sollte der Fall eintref-
fen“, versprach ich ihr, nur um sie zu beruhigen und um
endlich ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Als sie den
Raum verlassen hatte und ich eingeschlafen war, war ich
mir nicht mehr sicher, ob diese Dinge tatsächlich geschehen
waren oder ob es sich dabei eher um einen merkwürdigen
Traum gehandelt hatte.
Auch die letzte Vollmondnacht ging zu Ende, und als Istvan
mich selbst weckte, war ich so froh, wie schon lange nicht
mehr. Wir umarmten uns erleichtert und gingen zusammen
hinunter zu Serafina, die sich bereit machte aufzubrechen.
Ein Taxi wartete schon. Serafina versprach noch einmal ein-
dringlich, dass sie zum nächsten Vollmond wiederkommen
und dieses Mal verlässlich das gesamte Valentin-Rudel dabei
360
sein würde. Istvan umarmte sie kurz und versicherte ihr, dass
er ihr vergeben hatte.
Serafina wollte gerade in das Taxi steigen, da ging sie noch
einmal zurück und umarmte mich fest zum Abschied. Sie
löste sich von mir und warf mir einen langen, bedeutungs-
vollen Blick zu, der mich aufwühlte. Ich wusste, dass weder
sie noch ich Istvan jemals von dem bewussten Gespräch er-
zählen würden. Serafina stieg ins Taxi und fuhr zurück nach
Wien, um ihre Familie von ihrem Plan zu überzeugen, und
ließ mich verwirrt und Istvan besorgt zurück. Ich wünschte
mir jetzt, ich hätte ihre Bitte viel energischer als Stumpfsinn
abgetan. Aber im Grunde war es mir gleichgültig, denn auch
wenn Istvan und ich nicht viel über die Zukunft sprachen, so
war ich mir dennoch sicher, dass ich ihn nie, niemals, frei-
willig verlassen würde. Niemals.
361
21. Orions Schmerz
Ein paar Tage nach dem Vollmond hatte Istvan sich so weit
gesammelt, dass er das Vorübergehend-geschlossen-Schild
vor der Bibliothek wieder entfernte. Er versuchte zwar, sei-
ner Tätigkeit nachzugehen, bekam aber jedes Mal einen
hysterischen Anfall, wenn ich dasselbe tat. Aber ich konn-
te schließlich nicht ewig Aufträge ablehnen. Ich nahm ein
paar kleinere Termine wahr. Einen Konzertbesuch, eine
Gemeinde ratssitzung und ein kurzes Interview mit einem
Bauunternehmer, nichts Großes. Die gewohnte Routine half
dabei, mich wieder einigermaßen normal zu fühlen.
Doch wenn ich nicht für das Lokalblatt unterwegs war,
bestand Istvan darauf, dass ich entweder in der Bibliothek
vorgab zu lesen oder die restliche Zeit in seinem Haus zu-
brachte. Ich fing deshalb keinen Streit an, immerhin hatte
ich ja bei der letzten Katastrophe gemerkt, was dann pas-
sieren würde. Wenn ich auf stur schaltete, verausgabte er
sich völlig und das konnte ich nicht zulassen. Also versuchte
ich, so umgänglich wie möglich zu sein. Es war allerdings
schwierig, fast meine ganze Freizeit bei ihm zu verbringen,
also auch die Zeit während des Tages, ohne von jemandem
gesehen zu werden. Einmal passierte es sogar, dass eine alte
Frau, die gerade dabei war, die Gräber auf dem Friedhof zu
pflegen, sah, dass ich in die Richtung des alten Pfarrhauses
ging. Ich musste
Weitere Kostenlose Bücher