Wolfsfieber
weitergehen und an der Ecke zur Straße
so lange warten, bis sie weg war, um doch noch in Istvans
Haus zu gelangen. Es war alles nicht so einfach. Ich konn-
te mir auch gut vorstellen, dass meine Daueranwesenheit in
der Bücherei langsam aufzufallen begann, auch wenn nur
noch sporadisch Besucher die Ruhe der Büchersäle stör-
ten. Aber das waren nur die geringsten Probleme, die Ist-
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van und mich beschäftigten. Über uns hing ständig dieses
Damoklesschwert der drei kriegerischen Werwölfe und ihres
niederträchtigen Anführers, die schon in wenigen Wochen
zurückkommen würden, um uns sprichwörtlich den Wölfen
zum Fraß vorzuwerfen. Istvan telefonierte jetzt alle paar Tage
mit Serafina. Immer ging es um die Vorgehensweise beim
nächsten Vollmond oder um die Fortschritte, die Serafina bei
ihrem Vater gemacht hatte. Immerhin war es ihr gelungen,
Valentin von der Notwendigkeit eines baldigen Eingreifens
zu überzeugen. Als Serafina Istvan die gute Neuigkeit mit-
teilte, war es schon März und wir standen zwei Tage vor dem
Neumond. Die Freudennachricht erhellte Istvans Gemüt.
Nach endlosen Tagen voller düsterer Besorgnis und halbher-
zigem Zusammensein mit ihm, wobei ich in jeder Minute
spürte, dass er nie ganz bei mir war, sondern seine Gedan-
ken um das bevorstehende Gefecht kreisten, fand ich end-
lich Ruhe. Ich versuchte, Verständnis dafür zu haben, aber
es war belastend für mich, ständig sein nervöses Zucken in
der Nacht zu spüren und zu wissen, dass er in den meisten
Nächten kaum noch schlief, egal was ich tat.
Doch in diesen ersten Märztagen strahlte er endlich wie-
der, als wäre die Sonne aus ihrem langen Winterschlaf er-
wacht. Das erste Mal seit Wochen funkelten seine grünen
Augen nicht besorgt, sondern erleichtert und er sah mich
ohne Schuld an. Er schenkte mir wieder seinen liebevolls-
ten Blick, der mein Innerstes erreichte und den bitteren Ge-
schmack der letzten Tage vertrieb, fast als wären sie gar nicht
geschehen.
Nachdem er mir von Serafinas Erfolg erzählt hatte, saßen
wir lange zusammen in seinem Schlafzimmer. Er ruhte sich
auf dem Bett aus und konnte sich endlich so weit entspan-
nen, dass er für ein paar Minuten eingeschlummert war. Ich
saß an dem kleinen Schreibtisch und tippte den letzten Ab-
satz meiner Kritik zu Ende, dann klappte ich den Laptop zu
und legte mich an seine Seite. Die gleichmäßigen Atemzüge
seines schlafenden Körpers hätten auch mich beinahe ein-
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geschläfert, wenn ich nicht vom Anblick seiner Gesichtszü-
ge derart abgelenkt gewesen wäre. Ich presste mein Gesicht
in das Kissen und begann mit der anderen Hand, die Form
seiner Nase, seiner Lippen und seiner hohen Wangenkno-
chen nachzuzeichnen. Normalerweise wäre er davon sofort
wach geworden, aber seine Erschöpfung ließ ihn in einen
tiefen Schlaf sinken. Ich fühlte jetzt wieder diese Woge des
Glücks, die Serafinas schmerzliche Worte vor dem Abschied
vergessen machten. Ich ließ meine Hand auf seiner Schulter
ruhen, bevor ich die Augen schloss, um ein wenig an sei-
ner Seite zu dösen. Nach einer Weile fiel mir auf, dass mein
Körper sich seinen Atemzügen angepasst hatte und unsere
Brust sich synchron zu heben und zu senken begann. Mit
geschlossenen Augen genoss ich dieses Gefühl der Zweisam-
keit. Erst sein warmer Kuss riss mich aus dieser Wonne und
bot mir ein neues Spektrum des Glücks. Mein Kopf wurde
tief in das Kissen gedrückt durch den fordernden Druck sei-
nes Mundes. Ich öffnete meinen Mund mit geschlossenen
Augen und fühlte die warmen Bewegungen seiner Zunge,
die auch den letzten Gedanken an Schlaf vertrieben. Meine
Hände begannen sich in seinem Sandhaar zu vergraben und
ich nahm den festen Griff seiner Hände um meine Hüften
wahr. Der wilde Schwindel setzte ein und ich rang bereits
nach Luft, als ich zum ersten Mal die Augen öffnete. Seine
grüne Iris war mir so nahe, dass ich den Eindruck hatte, vom
Himmel aus auf eine saftige, grüne, irische Landschaft zu
blicken. Ich verlor mich vollkommen in seinen grünen Au-
gen und konnte meine nicht einmal schließen, als er mich
weiterhin küsste. Natürlich war auch das Herzhämmern
wieder da, und als er es kommen hörte, presste er sein Ohr
an meinen Busen und lauschte wie besessen dem Pochen
in meinem Brustkorb, während er mit seinen Händen mei-
nen Unterbauch umklammert hielt. Mir wurde unerträglich
heiß, wie meistens in seiner Nähe.
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