Wolfsfieber
kryp-
tisch und sah dabei komischerweise mich an, was ich nicht
verstand.
„Was ist mir dir? Bist du dir sicher, dass er so anders ist
als ich und meine Familie?“, fragte er mich mit einem selbst-
sicheren Grinsen. Wie aus der Pistole geschossen stieß ich
hervor: „Absolut sicher. Istvan hat nicht das Geringste mit dir
gemein!“ Ich legte Istvan meine Hand auf die Schulter.
„Liebe macht wohl tatsächlich blind. Es scheint, als wür-
dest du deinen Liebhaber wohl nicht so gut kennen, wie
du glaubst. Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass du
einen Mörder in dein Bett gelassen hast?“, deutete er an und
durchbohrte mich prüfend mit seinem finsteren Blick.
„Der einzige Mörder hier bist du, Farkas. Hör auf, mich
zu manipulieren. Das gelingt dir doch nicht“, sagte ich
selbstsicher und bemerkte plötzlich, dass Istvan seinen
Rücken von mir entfernte. Als ich meinen Satz zu Ende
gesprochen hatte, stand Istvan bereits zwischen mir und
Farkas und wandte mir weiterhin den Rücken zu. Farkas lä-
chelte selbstzufrieden. Ich verstand nicht, was hier eigent-
lich vorging.
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„Sieht so aus, als wäre dein Liebster nicht ganz deiner
Meinung, Mädchen. Istvan weiß nämlich ganz genau, wo-
rauf ich hinaus will. Nicht wahr, mein Sohn?“ Farkas’ Stim-
me klang wie die eines Seelenklempners aus der Hölle.
Istvan antwortete nicht. Er sagte kein Wort. Er drehte
sich nur zur Seite und sah beschämt zu Boden. Hatte ich
meinen Herzschlag bisher unter Kontrolle, verlor ich diese
jetzt vollkommen. Mein Puls raste, aber Istvan blickte nicht
hoch, um nach mir zu sehen. Ich sah nur sein trauriges Profil
und fühlte den Schmerz, der ihn plötzlich umhüllte.
„Istvan? Was hat das zu bedeuten?“, wollte ich atemlos
wissen. Er antwortete nicht, sah mich nicht an.
„Vielleicht sollte ich deine Frage beantworten. Ich habe
nämlich auch ein bisschen recherchiert, nach unserer letz-
ten Begegnung. Es gab da immer etwas, das mich hellhörig
gemacht hat. In seinem Notizbuch gab es ein paar heraus-
gerissene Seiten. Winter 1988, bevor er mit den Jammer-
einträgen anfing, fehlten genau dort ein paar Seiten. Und
seit wenigen Tagen weiß ich auch, wieso. Eigentlich muss
ich dir und deinen Zeitungsfritzen ja dankbar sein. Denn
ohne ihre Archive wäre ich nie auf die Eintragungen gesto-
ßen. Die Wiener Lokalzeitung brachte einen kleinen Bei-
trag. Was denkst du, wer der Held in diesem Beitrag war?“,
fragte er mich und starrte auf Istvan, der wie eine leblose
Salzsäule zwischen uns stand und nicht auf mein Ziehen an
seinem Ärmel reagierte. Er schien paralysiert oder so etwas
Ähn liches.
„Natürlich unser Istvan. Aber in dieser kleinen Geschich-
te zieht er kein kleines Mädchen aus dem Wasser. Nein, in
dieser Episode sitzt er deprimiert in einer Bar und kann sich
nicht mal betrinken. Na, jedenfalls ist er in dieser Bar, in
den weniger noblen Bezirken von Wien. Ein paar Betrun-
kene beginnen sich über seine Anwesenheit aufzuregen. Er
versucht, es zu ignorieren. Die anderen sind sturzbetrunken.
Ein besonders streitlustiger Mann geht immer wieder auf
ihn los. Er geht nicht darauf ein. Da waren alle Zeugen einer
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Meinung. Dann schubste der Betrunkene unseren Helden
und nennt ihn eine Missgeburt. Da platzt dem sonst so fried-
fertigen Istvan der Kragen. Er beginnt eine wilde Schlägerei
mit dem Betrunkenen. Der Mann verliert, natürlich. Doch
als Istvan gehen möchte, bevor die Anwesenden sehen kön-
nen, dass seine Wunden bereits verheilen, stürmt ihm der
Mann hinterher und schreit ständig: ‚Missgeburt, fahr zur
Hölle‘, bis Istvan dann endgültig ausrastet. Er prügelt dem
Besoffenen die Seele aus dem Leib. Nicht einmal als dieser
bereits bewusstlos auf der Straße liegt, hört er auf. Als er das
Blut auf dem Asphalt bemerkt, schnellt er hoch, zu spät. Der
Mann liegt längst schon tot auf der Straße. Unser Möchte-
gern-Pazifist hat ihm den Schädel eingeschlagen. Wie nennt
ihr Menschen das? Auseinandersetzung mit Todesfolge, Un-
falltod? Ich nenne es Mord. Wie nennst du es, Joe?“, fragte
er mich und ich konnte das dumpfe Dröhnen in meinem
Kopf nicht abstellen. Istvan hatte einen Menschen getötet.
Das hätte ich auch in meinen wildesten Träumen nicht für
möglich gehalten. Wieso hatte er es mir nicht erzählt? Wieso
musste ich es ausgerechnet von Farkas erfahren?
„Wie nennst du es, Joe?“, brüllte Farkas mich nun an
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