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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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zurückzuweichen, und so presste
    sich mein Schädel immer mehr gegen das Holz. Ich konn-
    te fühlen, dass Späne in meine Kopfhaut getrieben wurden.
    Den Schmerz nahm ich nicht wahr. Der Schock und das Ent-
    setzen saßen viel zu tief, um für andere Empfindungen Platz
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    zu machen. Die Anstrengung, die es Istvan kostete, mich zu
    würgen, verzerrte sein Gesicht und ließ ihn furchterregend
    erscheinen. Meine Wangen wurden jetzt von Tränen über-
    strömt, die bis zu seinen Händen flossen. Nicht einmal das
    konnte das Herz seines Raubtieres erweichen. Ich wusste ja,
    dass er nicht wirklich mich töten wollte, sondern vielmehr
    versuchte, das auszumerzen, von dem Farkas ihm eingere-
    det hatte, es würde uns trennen. Dennoch brachte es mich
    um. Es erschütterte mich im Innersten, von ihm getötet zu
    werden. Ich versuchte mit einer letzten, verzweifelten Geste,
    seine Hände von meinem Hals zu lösen. Sein Griff war fest,
    dennoch gelang es mir, ihn so weit zu lockern, dass ich hus-
    ten und ein paar erstickte Worte hervorpressen konnte.
    „Ich bin’s, Joe. Istvan, sieh mich an. Bitte sieh mir in
    die Augen!“, flehte ich, meine Stimme ein heiseres, leises
    Krächzen.
    „Lügen. Alles nur Lügen“, war die Antwort seiner rauen,
    leeren Stimme. Er drückte wieder fest zu. Ich bekam kaum
    noch Luft und zappelte mit allen Gliedmaßen. Bevor mir
    schwarz vor Augen wurde, gelang es mir erneut, seinen Griff
    zu lockern.
    „Istvan, du tötest uns! Komm zurück zu mir, Istvan. Ich
    flehe dich an. Komm zurück“, schrie ich erstickt und würgte
    unkontrolliert. Er glaubte mir immer noch nicht.
    Istvan drückte fester zu. Meine Arme lagen kraftlos auf
    seinen Handgelenken und waren immer hilfloser. Ich hör-
    te, wie mein Blutrauschen anschwoll und danach schwächer
    wurde.
    Das Ende kam.
    Ich presste meine Augen zu. Ich wollte nicht, dass das
    Letzte, was ich in dieser Welt sehen würde, die Augen mei-
    nes Mörders und die Augen meiner verlorenen Liebe sein
    sollten. Meine Arme fielen jetzt kraftlos zur Seite, mein Kör-
    per fügte sich seinem Schicksal. Wie soll man friedlich ge-
    hen, wenn man von demjenigen getötet wird, den man am
    meisten liebt? Darauf gab es keine Antwort. Ich hörte, weit
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    entfernt, in meinem schwarzen Dämmerzustand mein eige-
    nes Wimmern und Schluchzen, vermischt mit seinem wü-
    tenden Knurren.
    Und seltsamerweise waren die letzten Bilder, die mir,
    jetzt kurz vor dem Ende, in dem Sinn kamen, ausschließlich
    Bilder und Eindrücke von Istvan, von uns und unserer Liebe.
    Ich sah, wie wir auf dem Turm so nahe beieinander gewesen
    waren. Ich fühlte die Geborgenheit von damals. Ich erinnerte
    mich an den Rausch des ersten Kusses, an meine Nervosität
    in unserer ersten Nacht, an jeden einzelnen Blick. Ich küsste
    jeden einzelnen Kuss der letzten Monate und umarmte jede
    einzelne Umarmung noch einmal. Aber ich sah noch mehr.
    Ich sah, wie er mich damals gesehen haben musste, als ich in
    unserem Wintergarten getanzt hatte. Offenbar halluzinierte
    ich bereits. Meinem Gehirn fehlte der nötige Sauerstoff. Ich
    sah und fühlte, wie es damals gewesen sein musste, als er
    mich aus dem Wasser gerettet hatte, und ich erinnerte mich
    am deutlichsten an den Moment im Wald, als ich dachte,
    ich hätte ihn für immer verloren, an den Moment, als ich
    wusste, dass ich ihn immer lieben würde. Ich war nicht be-
    reit, das alles aufzugeben. Ich war noch nicht bereit zu ge-
    hen. Ich konnte ihn nicht verlieren. Ich würde nicht sterben
    und ihn allein zurücklassen. Ich wollte ihn nicht mit dieser
    Bürde, dieser Schuld zurücklassen und ich wollte auf keinen
    Fall, dass Farkas über Istvan und mich siegte. Ich tauchte
    aus dem Meer der Dunkelheit auf.
    Als ich die Augen aufriss, wurde ich mir wieder bewusst,
    dass ich schon lange keine Luft mehr bekommen hatte, und
    mit dem unglaublichsten Adrenalinstoß aller Zeiten raffte
    ich alle Reserven meines Körpers zusammen und bewegte
    meine Arme wieder. Ich fasste in sein Gesicht. Beim An-
    blick meines wiedererwachten Körpers erschrak er genug,
    um meine Berührung zuzulassen. Wie ich vermutet hatte,
    wirkte die Erinnerung an meinen Geruch. Er lockerte seinen
    Griff von selbst. Ich würgte und hustete. Meine Stimme war
    kaum noch vorhanden. Dennoch fand ich die Fähigkeit zu
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    sprechen. Jede Silbe brannte in meiner Kehle und tat ver-
    dammt weh.
    „Istvan, komm zurück zu mir. Komm zurück. Ich liebe
    dich. Bitte. Komm zurück!“,
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