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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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und
    ich konnte den Klang meines Namens aus seinem Mund
    kaum ertragen. Was mich wirklich zur Verzweiflung brachte,
    war Istvans bebender Körper, der sich völlig in sich selbst
    zurückzog, und die Tränen, die ich in seinen Augenwinkeln
    sah. Er hasste sich dafür. Ich konnte es sehen. Ich wollte ihn
    trösten. Ich konnte ihm vergeben, das sollte er doch wissen.
    „Wie ich es nenne? Ich sage, das alles konnte nur pas-
    sieren, weil du ihm das angetan hast. Ich weiß nicht, was
    1988 tatsächlich passiert ist, aber ich weiß, dass Istvan nie
    jemanden absichtlich verletzen oder gar töten würde.“ Ich
    versuchte, Farkas selbstsicher anzusehen und hob das Kinn,
    so hoch ich konnte.
    „Gott, wie naiv bist du eigentlich? Er konnte es nicht kon-
    trollieren. Du verstehst es nicht. Nicht Istvan wollte diesen
    Mann töten, damit hast du schon recht, aber die dunkle Seite
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    seines Wolfes wollte es und sie hat letzten Endes gewonnen.
    Es gibt da nämlich ein kaum bekanntes Phänomen in unse-
    rer Welt, manche nennen es das Wolf-im-Mann-Phänomen.
    Es ist sehr selten und tritt nur bei gebissenen Werwölfen
    auf, die ihren eigenen Wolf und seine niederen, anima-
    lischen Bedürfnisse unterdrücken. Wenn diese Männer in
    eine extreme Situation geraten, wenn sie nur noch rotsehen,
    dann kann der Wolf in ihnen, auch mitten am hellsten Tag,
    durchbrechen. Die menschlichen Stresshormone wirken ab
    einer gewissen Konzentration im Blut wie das Mondlicht auf
    uns und wir beginnen uns zu verwandeln. Doch es ist keine
    echte Verwandlung. Du wirst noch sehen, was ich meine“,
    waren seine letzten Worte an mich, ehe er sich an seinen ge-
    lähmten Sohn, an meinen leidenden Istvan wandte.
    Farkas trat noch näher an ihn heran und flüsterte ihm ins
    Ohr, während er mich mit seinem stechenden Blick festhielt.
    „Was wirst du jetzt machen, Istvan? Hm. Ich habe deine
    Mutter umgebracht und jetzt habe ich deiner großen Lie-
    be dein schmutziges, kleines Geheimnis verraten. Denkst
    du wirklich, dass sie dich jetzt noch mal ranlassen wird? Sie
    hasst dich, mach dir nichts vor, mein Junge“, zischte er hass-
    erfüllt und grinste immer breiter. Die Panik stieg in mir auf,
    als ich begann, seinen Plan zu durchschauen. Er wollte Ist-
    vans Wolf wecken, genau in diesem Moment, damit seine
    dunkle Seite von Istvan Besitz ergreifen konnte. Das durfte
    ich nicht zulassen.
    „Istvan, sieh mich an. Er lügt. Ich hasse dich nicht. Hör
    nicht auf ihn, bitte, Liebling“, versuchte ich ihn mit meiner
    sanften Stimme zu beschwichtigen. Ich konnte die Angst
    nicht ganz aus ihr verscheuchen. Istvan sah weder mich noch
    Farkas an. Er starrte nur stur zum Boden. Die Tränen waren
    versiegt. Er war nun ein gebrochener Mann, eine verlorene
    Seele, am Ende eines langen, verzweifelten Weges.
    Farkas und ich waren jetzt Mephisto und Gott, die um
    Istvans Seele kämpften, und ich musste diesen Kampf ge-
    winnen, unser beider Leben hing davon ab.
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    „Du bist doch ein kluger Junge. Sie liebt dich nicht mehr.
    Du weißt es. Du bist ein Mörder. Wie könnte deine Joe einen
    Mörder lieben?“, fragte Farkas und setzte ihm weiter zu. Das
    Wort Mörder im selben Satz wie meinen Namen zu hören,
    weckte Istvans Körper auf. Er begann nun merklich zu zit-
    tern. Seine Muskeln spannten sich verhärtet an und er fasste
    sich auf dieselbe Weise an die Stirn, wie er es oft vor einer
    Verwandlung tat. Die Wut und die Schuld lösten das von
    Farkas beschriebene Phänomen aus. Ich konnte kaum noch
    atmen oder sprechen. Ich war dabei zu verlieren. Ich war
    drauf und dran, Istvan an Farkas zu verlieren.
    „Nein“, schrie ich aus vollem Hals. Es hatte leider den
    falschen Effekt. Es verstärkte Istvans Schmerzen. Er brach
    zusammen und sank zu Boden. Er stöhnte und Farkas half
    ihm auf die Beine. Siegessicher warf er mir ein breites Grin-
    sen zu. Ich starrte fassungslos auf Istvans Arm, der nach Far-
    kas’ Unterarm fasste. Der Anblick brachte mich fast um den
    Verstand.
    „Bitte, Istvan, kämpf dagegen an. Er versucht dich nur
    zu manipulieren. Du weißt, dass ich immer auf deiner Sei-
    te bin. Immer“, versuchte ich ein letztes Mal das Blatt zu
    wenden. Als er in die Richtung meiner gebrochenen Stimme
    blickte, waren es nicht Istvans Augen, die zurückstarrten.
    Die irisierenden Wolfsaugen durchbohrten mich in Istvans
    menschlicher Gestalt. War es bereits zu spät? Konnte mein
    Istvan mich überhaupt noch hören oder hatte der Wolf in
    ihm bereits das
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