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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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bettelte ich und durchbohrte
    ihn mit meinen feuchten Augen.
    Er schien mir zumindest zuzuhören. Seine Augen verän-
    derten sich, wurden etwas weicher, menschlicher. Aber sein
    Griff hielt mich immer noch gefangen. Er verstärkte die Um-
    klammerung wieder etwas, ließ mir aber genug Luft übrig,
    um noch zu sprechen.
    Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und ließ
    sie jetzt ungehindert fließen. Ich presste die Hand, die ge-
    rade noch auf seiner Wange gelegen hatte, fest gegen seine
    Brust.
    „Komm zurück zu mir. Komm zurück. Orion! Bitte bleib
    bei mir!“, stöhnte ich in sein Gesicht und presste dabei wei-
    ter auf das Medaillon unter seinem Hemd. Als er sich des
    kalten Metalls auf seiner Brust bewusst wurde und ich sehen
    konnte, wie seine Gedanken dessen Bedeutung wiederent-
    deckten, riss er sofort die Hände von meinem Hals. Ich sank
    sofort erleichtert nach vorn und hustete unkontrolliert und
    trocken.
    Als ich mich etwas gefangen hatte, sah ich nach ihm. Er
    war vor mir zusammengebrochen und kniete im Gras. Seine
    Hände stützten sich ab und er atmete fast genauso schwer
    wie ich. Ich stürzte sofort zu ihm und sank ebenfalls kraftlos
    zu Boden, nahm sein Gesicht in meine Hände und drehte
    es energisch zu mir hoch. Ich musste wissen, ob der Wolf
    in ihm wieder verschwunden war. Er war weg. In seinen
    Augen spiegelten sich nur noch menschlicher Schmerz und
    Verzweiflung. Das Grün war wieder das, das ich kannte und
    liebte, auch wenn jetzt schuldbewusste Tränen aus seinen
    Augen flossen und er nur noch ein Schatten seiner selbst
    war.
    Als ich es zuerst versuchte, wich er mir schluchzend aus.
    Er erlaubte sich nicht, in meine Nähe zu kommen. Aber ich
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    gab nicht auf und umklammerte ihn so fest, dass er mich
    umarmen musste. Als ich mich an ihn presste, konnte ich
    schon fühlen, wie er sich meiner Umarmung hingab. Er ver-
    schränkte seine Arme so fest hinter mir, als wolle er mich nie
    wieder loslassen. Ich drückte mich genauso verzweifelt und
    unkontrolliert an ihn. Denn ich wusste, wenn diese Umar-
    mung zu Ende war, würde nichts so sein wie vorher. Deshalb
    wehrte ich mich jedes Mal dagegen, wenn er versuchte, sich
    mir zu entziehen. Aber ich konnte genauso fühlen, wie auch
    er jedes Mal dagegen ankämpfte, wenn ich meinen Griff lo-
    ckerte. Als die Nacht hereinbrach, hatte ich keine Tränen
    mehr übrig, die ich vergießen konnte, und auch er schien
    kaum noch Kraft in seinen Armen zu haben. Er sammelte
    mich vom Boden auf und brachte mich zum Wagen zurück.
    Wir sprachen nicht ein Wort. Bevor er losfuhr, sah er mich
    lange an und ich fühlte, dass sein Blick auf meinem Hals
    verweilte. Der Ausdruck in seinen Augen, als er meinen Hals
    musterte, brachte mich beinahe mehr auf als die Ereignisse
    meines Beinahe-Todes.
    Wie sollte es jetzt bloß weitergehen?
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22. Keine Illusionen
    Wir platzten in sein Haus wie Soldaten nach der schlimms-
    ten Schlacht, die ihnen alles abverlangt hatte. Er stieß die
    Tür auf und wartete, bis ich eingetreten war, bevor er sie
    ebenso achtlos ins Schloss fallen ließ. Ich trug die schwere
    Kamera in der Tasche um meine Schulter und hätte schwö-
    ren können, dass an dem leichten Tragegurt eine Kanonen-
    kugel hängen würde. Istvan machte ebenfalls den Eindruck,
    die Last der Welt auf seinen Schultern zu tragen. Er ging
    gebückt, noch immer endlos weit davon entfernt, er selbst
    zu sein, ins Wohnzimmer und blieb mitten im Raum stehen,
    ohne zu wissen, wieso. Ich hielt es nicht aus, auch nur eine
    Minute still zu stehen und dieser nicht enden wollenden
    Stille weiterhin beizuwohnen. Also ging ich schnurstracks
    in sein Schlafzimmer, wo noch immer mein Laptop stand.
    Wie ferngesteuert setzte ich mich an den Schreibtisch und
    klappte den Computer auf, nahm die Kamera und das Ver-
    bindungskabel aus der Tasche. Ich schloss, mithilfe automa-
    tisierter Bewegungsabläufe, die Kamera an den Laptop an
    und rief die Bilder vom Teich auf. Ein dumpfes Gefühl sagte
    mir, dass ich bei ihrem Anblick ausflippen müsste oder ir-
    gendetwas empfinden sollte, doch in mir war im Moment nur
    gedämpfte Leere. Sonst empfand ich nichts. Ich wählte lieb-
    los ein paar ganz passable Bilder aus, ohne sie zu überprüfen,
    und lud sie auf den Redaktionsserver, wie ich es versprochen
    hatte. Sie würden morgen früh dort sein, wo sie sein sollten.
    Im Moment konnte ich das von mir nicht im Mindesten be-
    haupten. Ich wusste gar nichts mehr. Jede Zukunft, auch
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