Wolfsfieber
hätte dich heute
um Haaresbreite getötet. Ich dachte, diese Nacht ’88 wäre
der schrecklichste Moment meines Lebens gewesen, aber
im Vergleich mit heute war es gar nichts. Als ich wieder zu
mir kam und sah, dass meine Hände um deinen Hals lagen,
wäre ich am liebsten auf der Stelle zur Hölle gefahren. Wie
konnte ich dir nur je wehtun? Das ist unverzeihlich. Wie
konnte ich dich nur beinahe …“, schrie er sich selbst an. Ich
unterbrach ihn hektisch.
„Aber das hast du nicht getan. Ich lebe noch. Du hast es
geschafft. Du konntest dich dagegen wehren, weil du stärker
bist als dieser dunkle Fleck in dir. Was immer Farkas in dir
aufgeweckt hat, du kannst es kontrollieren. Ich weiß, dass du
selbst mir nie wehtun würdest, nicht mit Absicht“, versuchte
ich ihm zu erklären. Aber er hörte gar nicht zu. Meine An-
sichten schienen nicht besonders zu zählen, zumindest nicht
im Vergleich mit seinen Schuldgefühlen.
„Joe, mach dir nichts vor. Damals ist etwas Ähnliches
passiert und ich konnte mich nicht rechtzeitig zusammen-
nehmen. Und wenn du heute nicht so unglaublich tapfer ge-
wesen wärst, vielleicht wäre es dann zum Äußersten gekom-
men. Seit ich dich damals aus dem Wasser gezogen hatte,
dachte ich – Gott, so hochmütig –, dass ich es überwunden
hätte. Dass es ein einmaliger Ausnahmezustand war, den
ich überwunden hätte, für immer. Doch heute hat Farkas
mir den Beweis geliefert, dass ich mir nur etwas vorgemacht
habe. Es ist in mir und es geht auch nicht weg. Nicht mal du,
nicht mal wir, konnten es vertreiben. Ich soll verdammt sein,
wenn ich zulasse, dass du noch mal in eine solche Gefahr
gerätst!“, presste er hart hervor und ich wusste, er war dabei
sich einzureden, dass wir aufhören mussten. Das versetzte
mich in blanke Panik. Deshalb klang meine Stimme jetzt ge-
hetzt, noch immer heiser, als würde ich vor einem Lauffeuer
davonlaufen.
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„Tu das nicht! Rede dir nicht ein, dass du mir hilfst, in-
dem du vor mir davonläufst. Das ist genau, was er will. Er
versucht, das Band zwischen uns zu zerstören. Er macht dich
glauben, dass du wie er wärst, aber das ist nicht wahr. Du
magst diese dunkle Seite in dir haben, aber sie beherrscht
dich nicht. Glaub mir, im Moment kenne ich dich besser als
du dich selbst. Vertrau mir, bitte!“, flehte ich ihn aus vollem
Herzen an. Er blickte mich skeptisch an. Seine grünen Au-
gen flackerten unentschlossen.
Er antwortete mir nicht. Er nickte nur sehr schwach und
ich wusste, dass wir in dieser längsten aller Nächte nichts
mehr klären konnten. Nach ein paar Minuten begannen mir
die Augen zuzufallen. Ich konnte die Schwere meiner Lider
nicht bezwingen, wollte mich aber genauso wenig von ihm
entfernen, weil ich Angst hatte, er könne nicht mehr da sein,
wenn ich die Augen wieder aufschlagen würde. Er bemerkte
meine drückende Müdigkeit.
„Ich bitte dich, Joe! Du schläfst ja schon halb. Geh doch
endlich zu Bett“, befahl er mir sanft, ohne dabei auch nur
eine Bewegung zu machen, die mir andeutete, dass er mir
folgen würde.
„Ich gehe erst ins Bett, wenn du mitkommst. Basta!“,
zischte ich, tonlos, schläfrig und rührte mich nicht von der
Stelle. Wieder nickte er schwach und stand auf. Ich hatte
gehofft, er würde mir ins Bett helfen. Doch er fasste mich
nicht an. Er ging mit einem Fuß Abstand hinter mir her. Als
ich mich auf das Laken fallen ließ, beinahe vollständig be-
kleidet, setzte er sich langsam und erschlagen auf die ande-
re Seite und wartete so lange, bis ich unter die Decke ge-
schlüpft war. Erst dann legte er sich an meine Seite – über
der Decke. Man hätte meinen können, zwischen uns läge
die Chinesische Mauer, so stur hielt er sich auf seiner Seite.
Ich wollte nicht einschlafen, aber ich konnte nicht anders.
Ich war so müde, so fertig. Mehrmals tastete meine Hand im
Halbschlaf auf seine Seite, um zu überprüfen, ob er noch da
war. Ich fühlte seinen starren Körper auf der anderen Seite,
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von dem kaum ein Hauch des Lebens ausging. Trotz meiner
üblen Verfassung fiel ich in einen traumlosen, tiefen Schlaf,
aus dem ich gegen vier Uhr morgens kurz erwachte, nur um
zu sehen, dass er noch immer wach neben mir im Bett lag
und traurig an die Decke starrte. Sein Anblick erschreckte
mich so sehr, dass ich es nicht mehr wagte, erneut einzu-
schlafen. Ich versuchte, für ihn, vorzugeben, noch ein paar
Stunden zu schlafen. Gegen halb acht hatte
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