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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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hätte dich heute
    um Haaresbreite getötet. Ich dachte, diese Nacht ’88 wäre
    der schrecklichste Moment meines Lebens gewesen, aber
    im Vergleich mit heute war es gar nichts. Als ich wieder zu
    mir kam und sah, dass meine Hände um deinen Hals lagen,
    wäre ich am liebsten auf der Stelle zur Hölle gefahren. Wie
    konnte ich dir nur je wehtun? Das ist unverzeihlich. Wie
    konnte ich dich nur beinahe …“, schrie er sich selbst an. Ich
    unterbrach ihn hektisch.
    „Aber das hast du nicht getan. Ich lebe noch. Du hast es
    geschafft. Du konntest dich dagegen wehren, weil du stärker
    bist als dieser dunkle Fleck in dir. Was immer Farkas in dir
    aufgeweckt hat, du kannst es kontrollieren. Ich weiß, dass du
    selbst mir nie wehtun würdest, nicht mit Absicht“, versuchte
    ich ihm zu erklären. Aber er hörte gar nicht zu. Meine An-
    sichten schienen nicht besonders zu zählen, zumindest nicht
    im Vergleich mit seinen Schuldgefühlen.
    „Joe, mach dir nichts vor. Damals ist etwas Ähnliches
    passiert und ich konnte mich nicht rechtzeitig zusammen-
    nehmen. Und wenn du heute nicht so unglaublich tapfer ge-
    wesen wärst, vielleicht wäre es dann zum Äußersten gekom-
    men. Seit ich dich damals aus dem Wasser gezogen hatte,
    dachte ich – Gott, so hochmütig –, dass ich es überwunden
    hätte. Dass es ein einmaliger Ausnahmezustand war, den
    ich überwunden hätte, für immer. Doch heute hat Farkas
    mir den Beweis geliefert, dass ich mir nur etwas vorgemacht
    habe. Es ist in mir und es geht auch nicht weg. Nicht mal du,
    nicht mal wir, konnten es vertreiben. Ich soll verdammt sein,
    wenn ich zulasse, dass du noch mal in eine solche Gefahr
    gerätst!“, presste er hart hervor und ich wusste, er war dabei
    sich einzureden, dass wir aufhören mussten. Das versetzte
    mich in blanke Panik. Deshalb klang meine Stimme jetzt ge-
    hetzt, noch immer heiser, als würde ich vor einem Lauffeuer
    davonlaufen.
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    „Tu das nicht! Rede dir nicht ein, dass du mir hilfst, in-
    dem du vor mir davonläufst. Das ist genau, was er will. Er
    versucht, das Band zwischen uns zu zerstören. Er macht dich
    glauben, dass du wie er wärst, aber das ist nicht wahr. Du
    magst diese dunkle Seite in dir haben, aber sie beherrscht
    dich nicht. Glaub mir, im Moment kenne ich dich besser als
    du dich selbst. Vertrau mir, bitte!“, flehte ich ihn aus vollem
    Herzen an. Er blickte mich skeptisch an. Seine grünen Au-
    gen flackerten unentschlossen.
    Er antwortete mir nicht. Er nickte nur sehr schwach und
    ich wusste, dass wir in dieser längsten aller Nächte nichts
    mehr klären konnten. Nach ein paar Minuten begannen mir
    die Augen zuzufallen. Ich konnte die Schwere meiner Lider
    nicht bezwingen, wollte mich aber genauso wenig von ihm
    entfernen, weil ich Angst hatte, er könne nicht mehr da sein,
    wenn ich die Augen wieder aufschlagen würde. Er bemerkte
    meine drückende Müdigkeit.
    „Ich bitte dich, Joe! Du schläfst ja schon halb. Geh doch
    endlich zu Bett“, befahl er mir sanft, ohne dabei auch nur
    eine Bewegung zu machen, die mir andeutete, dass er mir
    folgen würde.
    „Ich gehe erst ins Bett, wenn du mitkommst. Basta!“,
    zischte ich, tonlos, schläfrig und rührte mich nicht von der
    Stelle. Wieder nickte er schwach und stand auf. Ich hatte
    gehofft, er würde mir ins Bett helfen. Doch er fasste mich
    nicht an. Er ging mit einem Fuß Abstand hinter mir her. Als
    ich mich auf das Laken fallen ließ, beinahe vollständig be-
    kleidet, setzte er sich langsam und erschlagen auf die ande-
    re Seite und wartete so lange, bis ich unter die Decke ge-
    schlüpft war. Erst dann legte er sich an meine Seite – über
    der Decke. Man hätte meinen können, zwischen uns läge
    die Chinesische Mauer, so stur hielt er sich auf seiner Seite.
    Ich wollte nicht einschlafen, aber ich konnte nicht anders.
    Ich war so müde, so fertig. Mehrmals tastete meine Hand im
    Halbschlaf auf seine Seite, um zu überprüfen, ob er noch da
    war. Ich fühlte seinen starren Körper auf der anderen Seite,
    388

    von dem kaum ein Hauch des Lebens ausging. Trotz meiner
    üblen Verfassung fiel ich in einen traumlosen, tiefen Schlaf,
    aus dem ich gegen vier Uhr morgens kurz erwachte, nur um
    zu sehen, dass er noch immer wach neben mir im Bett lag
    und traurig an die Decke starrte. Sein Anblick erschreckte
    mich so sehr, dass ich es nicht mehr wagte, erneut einzu-
    schlafen. Ich versuchte, für ihn, vorzugeben, noch ein paar
    Stunden zu schlafen. Gegen halb acht hatte
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