Wolfsfieber
der
noch so kleinste nächste Augenblick, schien mir dunkel und
unmöglich vorherzusagen. Ich konnte das, was zuvor passiert
war, mit nichts vergleichen. Es gab keine Anhaltspunkte, wie
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man sich nach so einem Tag verhalten sollte, wie man ihn
einigermaßen überstehen konnte und noch an eine Zukunft
glauben sollte. Wie spät war es eigentlich? Ich konnte nicht
mal mit Sicherheit sagen, ob es nur zwielichtig oder bereits
dunkel gewesen war auf der Heimfahrt. Jegliches Zeitgefühl
hatte ich verloren. Das Einzige, was ich überhaupt in den
letzten Minuten wahrgenommen hatte, war, dass Istvan kurz
vor der Tür gelungert hatte, um nach mir zu sehen. Die gan-
zen langen Sekunden dieses Moments hatte ich nicht vom
Computer hochgesehen, dennoch bemerkte ich seinen fas-
sungslosen Ausdruck, als ihm klar wurde, dass ich tatsäch-
lich fähig war, meine Arbeit zu erledigen. Selbst jetzt. Er
verstand offenbar nicht, dass ich diese stupide Normalität
brauchte, um wieder einigermaßen normal empfinden zu
können. Wie sollte er es auch verstehen, ich verstand mich
doch selbst nicht. Aber sein anhaltendes Schweigen auf der
Heimfahrt hatte mich in diese Stimmung versetzt. Erst als
ich bemerkte, dass es jetzt draußen vollkommen dunkel war,
und sein lautes Stöhnen aus dem Wohnzimmer bis zu mir
vordrang, war ich alarmiert genug, um aus meinem Dämmer-
zustand aufzuwachen. Ich ging durch die Schlafzimmertür
den Flur entlang. An der Stelle, wo der Flur in das Wohnzim-
mer mündete, blieb ich stehen. Ich verschanzte mich hinter
der kalten Ecke und lauschte, an die Wand gedrückt, seinen
heftigen Atemstößen, die wie Schmerzensschreie aus sei-
nem Körper gedrückt wurden. Der Klang erschreckte mich
so sehr, dass ich es nicht wagte, mich auch nur einen Zenti-
meter aus meiner verborgenen Position zu bewegen. Aber
Istvan schien mich gar nicht wahrzunehmen. Hörte er mei-
nen Herzschlag nicht mehr? War er taub geworden? Wieso
blickte er nicht in meine Richtung? Als ich den Mut fand,
um die Ecke zu lugen, erblickte ich ihn auf dem Sofa sitzend.
Seine Augen konnte ich nicht sehen. Er ließ den Kopf hän-
gen. Sein Scheitel war genau in meine Richtung gerichtet.
Erst schien er sich kaum zu bewegen, doch dann erkannte
ich das leichte Heben seiner Schultern. Er machte auf mich
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den Eindruck eines gebrochenen Mannes. Zuerst wollte ich
meine Angst hinunterschlucken und an seine Seite stürmen,
doch dann sah ich, wieso er kein einziges Mal hochsah. Im-
mer wieder erwischte ich ihn dabei, wie er seine Hände an-
starrte, beinahe so, als wären sie nicht Teil seines Körpers. Er
öffnete seine Hand, schloss sie wieder, drehte sie mehrmals
herum und ballte sie anschließend zu einer Faust. Er ballte
sie so fest, dass seine Knöchel stark und weiß hervortraten
und ich fast hören konnte, wie sich seine kurzen Fingernägel
in das Fleisch seiner Handinnenflächen bohrten. Ein paar
Mal war sein Druck so fest, dass tatsächlich Blut aus seiner
Handfläche floss. Doch als er die Faust, die er noch immer
anstarrte, öffnete, war die Wunde längst versiegt. Wäre eine
Machete in der Nähe gewesen, hätte er sie sich eigenhändig
abgehackt. Das verriet schon sein Blick. Er besah sich seine
Hände wie eine Bombe, die entschärft oder am besten gleich
vernichtet werden müsste, damit sie nie mehr fähig war,
Schaden anzurichten. Ihn dabei zu beobachten, wie er sich
so quälte, zerfleischte mir das Herz. Ich wäre so gerne zu ihm
gegangen und hätte versucht ihn zu trösten. Doch hätte ich
mit dieser heiseren, schmerzvollen Stimme zu ihm gespro-
chen, auch wenn es versöhnliche Worte des Trostes gewe-
sen wären, er wäre vollkommen durchgedreht. Das wäre der
letzte Sargnagel gewesen. Irgendwann, ich hatte noch immer
kein Zeitgefühl, schien er dennoch meine Anwesenheit zu
bemerken und sah mich so schmerzerfüllt an, dass ich fast
losgeheult hätte. Doch ich unterdrückte die Tränen, um ihn
nicht noch mehr zu foltern. Er litt schon genug. Ich muss-
te es nicht noch herausfordern. Mit zögerlichen Schritten
ging ich auf ihn zu. Ich setzte mich ihm gegenüber in den
Ledersessel. Er schien nicht besonders erleichtert, dass ich
mich in seine Nähe begab. Jedes Mal, wenn ich mich in mei-
nem Stuhl nach vorne beugte, begann er, sich gleichzeitig in
seinem Sofa zurückzulehnen. Als wären wir zwei Magnete,
die sich plötzlich gegenseitig abstießen. Als hätte sich unse-
re
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