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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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da
    rausgeholt. Ich bin nicht bereit, deine Theorie zu testen. Hör
    auf, dir Illusionen zu machen. Wir können nicht da weiter-
    machen, wo wir aufgehört haben. Nicht solange ich ständig
    dieses Bild vor Augen habe“, gestand er mir und schüttelte
    dabei angewidert und von Angst überwältigt den Kopf. Seine
    Augen presste er zu, um das Bild zu verdrängen.
    „Was für ein Bild?“, fragte ich tonlos. Meine Stimme flüs-
    terte ihn an.
    „Das Bild, wie meine Hände dich würgen. Deine aufge-
    rissenen Augen, die mich voller Entsetzen und Todespanik
    anstarren, und ich kann nichts dagegen tun und muss zu-
    sehen, wie meine Hände dabei sind, dich zu töten. Ich höre,
    wie dein Herzschlag immer schwächer und schwächer wird,
    meinetwegen, und kann nichts dagegen tun und muss dabei
    zusehen. Machtlos. Ich will nie wieder sehen, dass du so lei-
    dest. Schon gar nicht wegen mir. Nie wieder!“, sagte er und
    ich konnte seiner bedrückten, tiefen Stimme anhören, dass
    er es todernst meinte. Mit jedem Wort, das er mir dabei ge-
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    stand, wich er einen winzigen Schritt von mir zurück. Würde
    das jetzt die Entfernung sein, von der aus er mich ertragen
    konnte? Eine Armlänge entfernt? Genau die Entfernung,
    von der aus ich seine Wärme nicht mehr fühlen konnte. Eine
    grausame Entfernung. Ich hatte das komische Gefühl, dass
    ich einen großen Fehler gemacht hatte, als ich von Istvan
    verlangte, mir zu sagen, welches Bild ihn quälte. Denn ein-
    mal ausgesprochen, stand es nun für immer zwischen uns.
    Wir waren gefangen in einer Pattsituation. Keiner von uns
    ließ sich von der Position des anderen überzeugen oder gab
    seine eigene auf. Wir kämpften beide einen aussichtslosen
    Kampf, einen Kampf gegeneinander und füreinander. Was
    es zusätzlich erschwerte, war, dass jeder von uns glaubte, er
    würde das einzig Richtige tun. Es ging tagelang so weiter. Er
    nutzte die Tage, um sich in der Bibliothek zu verkriechen, ich
    nutzte die Tage und Wochenenden, um mich hinter meiner
    Arbeit zu verstecken. Ich schrieb sogar Kritiken, von denen
    ich wusste, dass sie nie veröffentlicht würden, nur um etwas
    zu tun zu haben. In der restlichen Zeit waren wir zusam-
    men, wenn man das so nennen konnte. Ich schlief sogar bei
    ihm und er bei mir. Waren wir jedoch bei mir, schlief er auf
    der Couch. Er erlaubte es sich nicht mehr, in die geheiligte
    Privatsphäre meines Zimmers einzudringen. Ich versuchte,
    in seinem Haus oft im Schlafzimmer zu bleiben und ihn so
    an glücklichere Zeiten in diesem Zimmer zu erinnern. Es
    funktionierte überhaupt nicht. Am schlimmsten waren die
    Nächte. Am Tag gab es viel, womit man sich ablenken konn-
    te, wie Streiten oder Arbeit. Aber nachts lagen wir nebenei-
    nander, dieser unüberwindliche Graben zwischen uns, und
    ich musste ständig dieses Verlangen unterdrücken, ihn zu
    berühren, das Bedürfnis, den Graben zu überwinden. Mit je-
    dem weiteren Tag, der verging, fühlte es sich hoffnungsloser
    an. Ich kam einfach nicht an ihn heran. Er schien sich voll-
    kommen in sich selbst zurückgezogen zu haben. Er vertraute
    sich jetzt wieder seinem Notizbuch an, und nicht mehr mir.
    Ein weiterer Stich in mein verwundetes Herz. Während Ist-
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    van jetzt nachts von Albträumen geplagt wurde und es mir
    nicht mal erlaubte, ihn zu trösten oder zu berühren, war ich
    es jetzt, die schlaflos wach lag und Tränen der Verzweiflung
    hinunterschluckte. Nur wenn er tief und fest schlief, konnte
    ich es mir erlauben, ihn anzusehen, wie ich es früher tat.
    Dann kamen all die Erinnerungen hoch, jene Erinnerungen,
    die mich aus den Klauen des Todes befreit hatten und jetzt
    dabei waren, mich jede Nacht aufs Neue zu foltern, weil ich
    mittlerweile wusste, dass die reelle Möglichkeit bestand,
    dass mir nichts außer ihnen blieb. Ich hatte bisher nie viel
    mit Dantes Göttlicher Komödie anfangen können, aber in
    diesen dunklen Tagen verstand ich zum allerersten Mal die
    Bedeutung der Worte, die beinahe jeder kannte, ohne wirk-
    lich darüber nachzudenken. „Lasst fahren alle Hoffnung.“
    Ja, so musste die Hölle sein. Hoffnung, die mit jedem Tag
    schwand und das Herz in tausend Stücke zerriss, nur damit
    man am nächsten Tag dieselbe Hölle erlebte.
    Wie lange würde ich durchhalten und wie lange würde
    seine Mauer standhalten, ehe sie anfing, Risse zu bekom-
    men? Das war die einzige Hoffnung, die mir noch geblieben
    war. Ich hoffte auf einen kleinen Riss in seiner Mauer, durch
    den ich zu
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