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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber
Autoren: R Adelmann
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und riss mir dabei den Schal mit
    einem einzigen Ruck vom Hals. Unter dem violetten Stoff
    kam mein blasser Hals hervor und die dunkelblauen Prellun-
    gen darauf, bei denen ich nun deutlich sah, dass man Fin-
    gerabdrücke im Muster der Blutergüsse ausmachen konnte.
    Automatisch wendete ich den Blick ab, sah zur Seite. Istvan
    packte meinen Kopf, sodass ich gezwungen war, mich selbst
    verletzt im Spiegel zu sehen. Meine Augen erschreckten
    mich mehr als der Anblick meines zerschundenen Halses.
    Meine Augen waren panisch, gehetzt. Das Blau erinnerte an
    einen übertretenden Fluss und machte mir Angst, fast noch
    mehr Angst als das unerbittlich traurige Grün, das mir aus
    Istvans Augen entgegenstarrte.
    „Sieh genau hin! Sieh dir genau an, was ich dir angetan
    habe, und jetzt sag mir: Wie kannst du das ertragen, wie
    kannst du mich noch in deiner Nähe ertragen?“, fragte er
    mich und seine tiefe Stimme war nur noch ein Trauermeer,
    voller Zorn und Verachtung für sich selbst.
    Ich antwortete nicht und starrte nur lange auf die Refle-
    xionen unserer Körper im Spiegel. Ich dachte gründlich über
    seinen Vorwurf nach. Das tat ich wirklich. Aber ich wollte es
    dennoch. Ich wollte ihn in meiner Nähe haben. Wenn ich in
    seine Augen im Spiegel sah, sah ich weder Farkas darin noch
    das Wolfsmonster, das gestern versuchte, mich zu töten. Alles,
    was ich in seinen grünen Augen sah, war er selbst und was
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    ich schon immer darin gesehen hatte, auch wenn mich seine
    Traurigkeit darin noch tiefer berührte als je zuvor. Ich sah ihn
    und mich. Jetzt, da er einen Arm auf meiner Schulter hatte
    und sein anderer Arm meinen Oberarm umklammerte, wurde
    mir bewusst, dass es noch immer da war, trotz allem, der unbe-
    zähmbare Wunsch, ihm nahe sein zu wollen, ihn zu berühren.
    Das würde meine Antwort sein. Ich legte meine linke Hand
    auf seine Hand, die meine Schulter umfasste. Seine Wärme
    erstaunte mich immer noch. Er schreckte nicht sofort zurück.
    „Ich sehe uns, das sehe ich. Ich ertrage deine Nähe nicht
    nur, Istvan, ich suche sie, auch jetzt. Sieh in meine Augen
    und sag mir, dass ich lüge!“, forderte ich und blickte durch
    den Spiegel entschlossen in seine Augen hinter mir.
    Er starrte lange zurück und ich konnte fühlen, wie seine
    Wut sich langsam verzog, und dennoch zog er seine Hand
    unter meinen Fingern weg.
    Ich drehte mich schnell um, bevor er sich davonmachen
    konnte.
    „Ich habe dir längst vergeben und werde nicht aufgeben,
    so lange, bis du dir selbst verzeihen kannst. Du kennst mich,
    ich habe einen Dickschädel!“, erinnerte ich ihn mit einem
    leichten, schiefen Lächeln.
    Er lächelte nicht zurück. Istvan schüttelte nur ratlos den
    Kopf. Offenbar hatte ich ihn aus dem Konzept gebracht. Ich
    würde jeden Einwand und jeden Vorwurf, den er vorbrin-
    gen konnte, ebenso energisch zurückweisen. Ich war fest
    entschlossen. Ich hatte keine Angst vor ihm. Vielleicht lag
    es daran, dass ich in ihm immer mehr meinen Retter und
    den Mann, den ich liebte, sah als den Wolf oder was sonst
    noch in ihm schlummerte. Ich fühlte nach wie vor diese
    Geborgenheit, auch wenn er bereits dabei war, sie mir zu
    entziehen, um mich zu schützen. Das beunruhigte mich
    zutiefst. Ich ging vom Spiegel weg. Zugegeben, ich wollte
    nicht ständig auf meinen entstellten Hals starren. Ich war ja
    eigentlich nicht masochistisch veranlagt. Obwohl Istvan das
    augenscheinlich anders sah.
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    „Joe, du gehst einen gefährlichen Weg und ich weiß nicht,
    ob ich dir folgen kann. Bitte verlang das nicht von mir. Ich
    kann nicht dein Leben riskieren, während wir versuchen
    herauszubekommen, ob ich es tatsächlich unter Kontrolle
    habe. Hast du mal daran gedacht, was alles schiefgehen
    kann, jetzt, wo ich nicht nur versuchen muss, dich vor Farkas
    zu beschützen, sondern auch vor mir selbst?“, fragte er mich
    ernst und legte die Stirn dabei angestrengt in Falten.
    „Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass jetzt vieles anders wird.
    Ich weiß, dass es dir jetzt viel schwerer fällt, mit mir zusam-
    men zu sein. Ich weiß, du denkst, dass deine Nähe ein Risiko
    für mich ist. Aber, Istvan, du irrst dich. Ich denke, dass das,
    was immer gestern in dir hochgekommen ist, überwunden
    wurde, als du von selbst zu dir gekommen bist. Ich bin mir
    da ziemlich sicher“, wandte ich ein und versuchte, überzeugt
    zu klingen.
    „Ziemlich sicher ist nicht genug für mich. Und, Joe, ich
    bin nicht von selbst zu mir gekommen. Du hast mich
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