Wolfsfieber
erklären.
„Ich sollte besser verschwinden, damit er mich hier nicht
entdeckt. Soll ich hoch in dein Zimmer gehen?“, fragte er,
fast schon unsicher.
„Ja. Ich versuche, ihn hier unten zu halten. Mach schnell,
er ist schon an der Treppe!“, fuhr ich ihn nervös an.
„Joe, eins noch. Er ist irgendwie aufgeregt. Sein Puls hört
sich beunruhigt an“, flüsterte er, während er die Treppe hoch-
schnellte. Ich nickte ihm zu, ehe er außer Sichtweite war.
Ich kam Viktor entgegen und öffnete die Tür, bevor er
selbst eine Chance dazu hatte. Sein leicht nervöses Lächeln
begrüßte mich. Er fühlte sich irgendwie unwohl. Ich kannte
meinen Bruder. Er lächelte immer mit dem gesamten Ge-
sicht, doch jetzt war nur sein Mund dabei, ein Lächeln zu
erzeugen, während seine Augen eher besorgt blieben.
„Hallo Schwester“, begrüßte er mich.
„Hallo. Ich habe heute nicht mit dir gerechnet. Wie geht’s
dir? Gibt es etwas Bestimmtes?“, fragte ich ihn und hatte ihn
noch immer nicht hereingebeten.
„Mir geht’s ganz gut. Wir haben uns ja lange nicht mehr
gesehen, deshalb dachte ich, ich sehe mal nach dir“, mur-
melte er vor sich hin. Ich winkte ihn zu mir herein und ging
in die Küche, von der aus man nicht nach oben sehen konn-
te. Der Gedanke, dass Istvan im Haus war, während ich mit
Viktor sprach, machte mich nervös, besonders wenn ich
an die bedrückte Stimmung dachte, die zwischen uns zum
Dauerzustand geworden war.
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„Setz dich doch. Möchtest du auch einen Kaffee?“, fragte ich
ihn, während ich dabei war, mir selbst einen einzuschenken.
„Ja, gerne. Joe, ich bin eigentlich nicht nur so vorbeige-
kommen. Die Eltern haben mich mehrmals gebeten, nach
dir zu sehen“, gestand er mir und ich konnte einen unange-
nehmen Unterton in seiner Stimme ausmachen.
„Wieso das denn?!“, stieß ich perplex hervor und stellte
Viktor den Kaffee hin.
„Na ja. Du sollst mehrmals nicht an dein Handy gegangen
sein und du hast sie auch nicht zurückgerufen. Du hättest
dir doch denken können, dass sie deshalb an die Decke ge-
hen“, erinnerte er mich an Esthers und Heinrichs Besorgnis
und machte mir ein schlechtes Gewissen.
„Ich hatte einfach viel zu tun, Viktor. Ich muss wohl ver-
gessen haben, zurückzurufen. Das ist doch kein Grund, hier
einen auf Feuerwehr zu machen!“, erklärte ich ihm etwas
kraftlos und deutete auf den Stoß mit Zeitungen und Aus-
drucken, der auf dem Tisch im Wohnzimmer lag.
„Ja, schon klar. Du bist beschäftigt und du warst ja schon
immer der Typ, der sich nicht gerne kontrollieren lässt. Aber
jetzt mal unter uns. Ist irgendwas mit dir? Letztes Wochen-
ende warst du auch nicht zum Essen bei uns“, erinnerte er
mich. Viktor hatte recht, ich mied in letzter Zeit jeden Men-
schen, auch meine Freunde und besonders Familienmitglie-
der. Ich hatte Angst, dass meine Eltern, falls ich wirklich mit
ihnen sprechen sollte, meinen hoffnungslos traurigen Ton
heraushören könnten, das wollte ich vermeiden.
„Viktor, es geht mir ganz gut. Ich habe nichts. Nur in letz-
ter Zeit habe ich viel gearbeitet und schlafe nicht besonders.
Und ich habe auch noch eine leichte Grippe“, log ich und
deutete dabei auf den dicken Wollschal, der um meinen
Hals geschlungen war.
„Oh, das tut mir leid. Ich wusste ja nicht, dass du krank
bist. Vielleicht solltest du dich etwas hinlegen. Die Arbeit
läuft dir ja nicht davon“, schlug er mir vor und deutete mit
abweisender Geste auf den Papierstapel.
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„Ja, das klingt ziemlich gut. Vielleicht sollte ich mich wirk-
lich ein paar Stunden aufs Ohr hauen. Und ich verspreche
dir, heute Abend ruf ich unsere Weltenbummler an!“, sagte
ich und lächelte ihn scherzend an. Ohne es zu wissen, hatte
Viktor mir die Steilvorlage geliefert, mit der ich ihn aus dem
Haus bekam.
Er trank hastig den Kaffee aus und machte sich auf zu
gehen.
„Dann gute Besserung, Große“, wünschte er mir und sah
auf mich herab.
„Danke, Kleiner. Grüß Paula von mir“, verabschiedete ich
mich von ihm.
Sobald mein Bruder aus dem Haus war, hörte ich Istvans
leise Tritte auf der Treppe hinter mir. Ich drehte mich zu
ihm um und sah den verstörten Ausdruck, der sein Gesicht
überschattete.
„Sie machen sich Sorgen um dich. Dabei wissen sie nicht
einmal, wie sehr sie sich wirklich sorgen sollten. Wieso rufst
du sie nicht an?“, fragte er mich fürsorglich und setzte sich
dabei auf die oberen Stufen.
„Ist
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