Wolfsfieber
es das einzige
Krankenhaus in der Gegend. Da war es auch nicht weiter
erstaunlich, dass auch meine Mutter die letzten dreißig Jah-
re ihres Lebens als Krankenschwester im gleichen Hospital
Dienst getan hatte.
Als sich Carla wieder hinsetzte, fiel mir ein, dass ich mich
noch gar nicht nach ihr und Christian erkundigt hatte:
„Sag, wie geht es Christian eigentlich? Habt ihr beide
noch immer diese Monsterschichten abzuleisten oder ist es
schon besser geworden?“
„Christian geht es gut. Er ist nur ständig hundemüde,
wie ich auch. Diese verrückten Verwaltungstypen lassen uns
noch immer 36-Stunden-Schichten machen. Es wird ein-
fach nicht besser. Ich weiß bald nicht mehr, wie mein Bett zu
Hause aussieht. Ich glaube, es ist aus Holz oder so“, scherzte
sie mit sarkastischem Unterton, wobei sie ihre Verärgerung
nicht verbergen konnte und auch nicht wollte.
„Gott, das ist ja furchtbar. Ich sollte da mal was über euch
schreiben. Vielleicht hilft es ja“, bot ich ihr an und registrier-
te sofort ihren ablehnenden Ausdruck.
„Nein. Bist du wahnsinnig? Du weißt ja, wie schnell man
heutzutage fliegt. Vergiss das mal lieber schnell. Erzähl mir
lieber, was es bei dir so Neues gibt“, lenkte sie ab und stellte
genau die Frage, die ich nicht hören wollte.
Was zur Hölle sollte ich darauf antworten? Etwa:
Ach, nicht viel. Hab nur Istvan, den Bibliothekar, angefah-
ren. Habe mal kurz von ihm erzählt. Ach ja, es stellte sich am
Ende raus, dass ich ihn doch nicht umgebracht habe. Denn er ist
ein Werwolf und steckt solche Unfälle ganz gut weg. Heute Mor-
gen hat er es mir dann gestanden, und anstatt schreiend davon-
zulaufen, hätte ich ihn beinahe geküsst, glaube ich jedenfalls.
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Zumindest wäre das die Wahrheit gewesen. Doch ich
konnte nicht mal ansatzweise etwas davon erwähnen. Ich
musste jetzt ganz schnell lernen, wie man überzeugend log.
Carla hatte mein Zögern bereits bemerkt. Das war nicht
gut. Ich sollte bald mal was sagen, aber mein Mund fühl-
te sich staubtrocken an und so konnte ich auf keinen Fall
überzeugend lügen. Ich hustete, als ob ich ein starkes Krat-
zen im Hals hätte, und schüttelte dabei noch gekünstelt den
Hals. Die diesjährigen Oscar-Anwärter würden durch meine
schauderhafte Schauspielleistung nicht das große Zittern be-
kommen.
Nach meinem Hustenanfall räusperte ich mich und nahm
einen Schluck von dem Wasser, das der Kellner, ein kleiner,
älterer Chinese, auf den Tisch gestellt hatte.
„Na, geht’s wieder?“, fragte sie mit besorgter Miene. Ein
Wunder war geschehen. Sie kaufte mir den Auftritt tatsäch-
lich ab.
„Ja, danke. Frosch im Hals. Nicht so schlimm“, ließ ich
sie wissen und log.
„Also, was gibt es nun Neues in St. Hodas und bei dir
natürlich?“, bohrte sie weiter.
„Alles eigentlich wie immer … langweilig wie immer“, er-
klärte ich knapp und nahm weitere Schlucke aus meinem
Wasserglas.
„Komm schon. Erzähl mir, was hast du so die letzten Tage
gemacht? Wolltest du nicht auf diese Messe, wie war es?“,
fragte sie begierig weiter.
„Ich war auf der Messe. War ganz schön viel los für eine
kleine Ferienmesse. Gut besucht. Hab die letzten Tage nur
gearbeitet. Geschrieben größtenteils. Sonst nichts“, gab ich
ihr knapp zur Antwort und merkte, dass ich plötzlich im Tele-
grammstil sprach, was ich sonst nicht tat. Ich wusste sofort,
dass ich einen dummen Fehler gemacht hatte. Es fiel ihr auf,
denn sie fragte mich gleich danach:
„Was ist denn mit dir? So kurz angebunden kenne ich
dich gar nicht. Du redest mit mir, als wäre ich ein unliebsa-
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mer Bekannter, den du möglichst schnell loswerden möch-
test.“
Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie deutlich irritiert
war. Ich konnte ihr nichts vormachen.
„Entschuldige. Es war nur so ein langer Tag gestern und
dann kam das auch noch mit dem Wagen hinzu. Dem Auto
meiner Eltern, du verstehst?“, klärte ich sie auf und versuch-
te, damit die Wogen wieder zu glätten.
„Du machst dir Sorgen wegen des Autos deiner Eltern!
Warum sagst du das nicht gleich? Ich bin sicher, sie sind
nicht sauer. Und wenn schon. Sie kommen doch erst in
einem dreiviertel Jahr von ihrer Weltreise zurück. Bis dahin
ist das doch Schnee von vorgestern“, tröstete sie mich und
schenkte mir diesen warmen Blick, bei dem mir immer wie-
der bewusst wurde, was für ein Glück ich hatte, Carla zur
besten Freundin zu haben.
„Ja, du hast recht.
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