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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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geschwisterlich.
    Sie hatte ja keine Ahnung, wie sehr sie sich in diesem
    Punkt täuschte. Es gab niemanden auf der ganzen Welt wie
    ihn und vielleicht nur ein paar „Menschen“, die ihm halbwegs
    ähnlich waren. Ich dachte, ich hätte genug Abschreckendes
    über Istvan verkündet, dass es in Zukunft unwahrscheinlich
    wäre, dass sie mich noch mal nach ihm ausfragen würde.
    Aber es war schon unheimlich, dass Carla bereits das
    erste Mal, als ich ihn ihr gegenüber kurz erwähnt hatte, zu
    merken schien, dass er etwas ihn mir auslöste.
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    Zu meinem und zu Istvans Glück war ihre ansonsten gute
    Intuition gegen meine Lügen nicht immun. Denn sie schien
    mir wirklich abzunehmen, dass ich Istvan nicht ausstehen
    konnte. Ich hatte also mein Ziel erreicht. Auch wenn ich dafür
    meine beste Freundin anlügen musste, zum allerersten Mal.
    Ich würde schon morgen Abend erfahren, ob es die Lü-
    gerei wert war. Ob auch er sein Versprechen halten und mir
    von sich und seinen Besonderheiten erzählen würde.
    Noch war ich mir nicht sicher, dass er Wort hielt. Viel-
    leicht würde er auch wieder verschwinden, genauso wie er
    in mein Leben gekommen war, völlig aus dem Nichts. Was,
    wenn er dahin zurückkehren würde? Darauf hatte ich keine
    Antwort parat.
    Ich aß meinen Nachtisch auf und hörte Carla zu, wie sie
    von den neuen Möbeln erzählte, die sie sich zusammen mit
    ihrem Freund angeschafft hatte. Größtenteils ließ ich sie reden
    und versuchte, den halben Nachmittag lang nicht zu sehr an
    Istvan zu denken. Ich war Carla sehr dankbar für die kleinen
    Geschichten voller Normalität, die sie mir in ihrer lustigen
    Art, erzählte, wild gestikulierend und bunt ausgeschmückt.
    Sie erzählte von den schwierigen Operationen, bei denen
    sie schon assistieren durfte, und von Christians neuestem
    Beziehungs-Fauxpas, wie dem ständigen Fragen nach der
    Notwendigkeit von zehn verschiedenen Paar Schuhen. Es
    tat gut, mit Carla über ihr Liebesleben zu scherzen und sich
    dabei ganz normal zu fühlen. Ich wusste ja nicht, wie normal
    ich mich noch nach morgen Abend würde fühlen können.
    Nach einem kurzen Anruf von Christian verabschiedete
    sie sich und brachte mich noch zum Wagen. Ich umarmte sie
    und sagte: „Wir sehen uns hoffentlich bald mal wieder.“
    „Ja, klar. Selbe Stadt, selber Chinese!“, scherzte sie und
    fragte mich verwundert:
    „Sag mal, ist das etwa dein alter Jetta oder sehe ich Gespens-
    ter? Den hast du doch seit der Schule nicht mehr gefahren. Ich
    dachte, der wäre längst in der Schrottpresse gelandet!“, witzelte
    sie weiter, als sie sah, dass sie mich damit drankriegen konnte.
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    „Nicht du auch noch! Mein Jetta ist durchaus noch fahr-
    tüchtig und der kommt nicht auf den Schrottplatz. Er ist die
    Art fahrbarer Untersatz, die dir in einer Auto-Krise beisteht.
    Einfach nicht tot zu kriegen eben!“, konterte ich und konnte
    endlich einige Auto-Witz-Punkte wieder gutmachen.
    Sie lachte schallend und winkte mir zum Abschied.
    „Ich sehe dich bald. Mach’s gut, verrückte Jetta-Joe!“,
    wünschte sie mir und ging zurück in den Park.
    Auf der ganzen Heimfahrt, diesmal mit moderaten 80 ge-
    fahren, dachte ich über die Lügen nach, die ich heute erzählt
    hatte. Wie ich versucht hatte, Carla davon zu überzeugen, dass
    Istvan mir egal sei. Was war weiter entfernt von der Wahrheit?
    Ich hatte schon reichlich geflunkert, dabei aber nichts
    so Schlimmes erzählt, dass ich Carla niemals wieder unter
    die Augen treten konnte. Was blieb mir denn anderes üb-
    rig, wenn ich uns alle beschützen und Istvan vor jeglicher
    Verdächtigung bewahren wollte. Lügen war der einzige Aus-
    weg. Niemand würde es auch nur ansatzweise verstehen,
    noch nicht einmal die ansonsten aufgeschlossene Carla. Wie
    könnte sie auch? Ich verstand es doch selbst nicht, wieso
    ich bereit war, so viel für Istvan zu tun. Ich fühlte mich noch
    nicht mal schuldig. Ich wusste irgendwie, dass ich ihm das
    schuldete. Ich würde lernen müssen, damit zu leben. Mit
    Lügen und allem, was noch kommen würde.
    Nach einer guten halben Stunde war ich zu Hause an-
    gekommen und verbrachte den Rest des späten Nachmittags
    und den Abend mit dem Schreiben des Artikels zur Wildun-
    fall-Pressekonferenz. Ich musste verdammt gut aufpassen,
    in den Bericht nicht Istvans Namen einzutippen. In meiner
    Erinnerung war er so sehr mit den Ereignissen dieser Nacht
    verbunden wie der Regen mit den Wolken. Meine Finger
    musste ich immer wieder daran

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