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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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ich in den letzten bei-
    den Tagen für Sünden begangen?
    Ich hatte Carla belogen. Ich hatte meinen Bruder belo-
    gen. Ich brachte Istvan mit einer vorgetäuschten Erpressung
    dazu, sein Geheimnis zu offenbaren. Ich hatte ganze Arbeit
    geleistet.
    Was würde Pfarrer Martin dazu sagen, mein ältester
    Freund aus Kindergartentagen? Würde er verstehen, dass
    meine Verfehlungen gerechtfertigt waren? Vermutlich nicht.
    Wie ich Martin kannte, und ich kannte ihn immerhin seit
    zwanzig Jahren, würde er mir eine profunde Kirchenweis-
    heit vor den Latz knallen wie: Das Falsche aus den richtigen
    Gründen zu tun, macht es noch lange nicht richtig!
    Ich würde wieder den Kopf schütteln und einen halb
    ernsten Streit mit ihm anfangen, dass wir nicht in einer
    schwarz-weißen Welt lebten und er versuchen solle, die
    Grautöne wahrzunehmen. Er würde mir widersprechen und
    mich zu liberal nennen. Verärgert über seine religiöse Ver-
    bohrtheit würde ich das Weite suchen. So war es zwischen
    uns, seit er die Weihe erhalten hatte. Ich kam einfach nicht
    damit klar, dass mein ältester Freund ein Mann der Kirche
    geworden war – Pfarrer Heidt. Deshalb sahen wir uns auch
    so selten. Er war nach der Schule auf das Priesterseminar
    gegangen und ich ging zur Uni. Wir trafen einander kaum
    noch, obwohl wir uns versprochen hatten, trotz unserer re-
    ligiösen Differenzen Freunde zu bleiben. Aber eine Freund-
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    schaft zwischen einem Pfarrer und einer Agnostikerin wie
    mir war einfach schwer zu erhalten.
    Doch seit ich wieder zu Hause lebte, sahen wir uns ab
    und zu. Manchmal sogar in der Kirche, ein Friedensangebot
    meinerseits. Wir versuchten, unsere Differenzen außen vor
    zu lassen und uns auf die gemeinsame Vergangenheit zu kon-
    zentrieren. Es verband ungemein, dieselben Kindheitserin-
    nerungen zu teilen. Und abgesehen von Carla war Martin der
    einzige Mensch, den ich ohne Zögern einen wahren Freund
    nennen würde. Es nagte dennoch an mir, dass ausgerech-
    net der erste Junge, den ich je geküsst hatte, beschloss, sein
    Leben Gott zu widmen. Ich hatte mir nie erklären können,
    wie ein tief gläubiger Mensch wie Martin jemals Interesse
    an jemandem wie mir haben konnte. Aber in der frühen Ju-
    gend unterläuft uns allen die eine oder andere Entgleisung.
    So wussten wir beide sofort, schon mit zwölf Jahren, nach
    unserem ungeschickten ersten Kuss, dass wir beide nur zu
    einem taugten, und das war Freundschaft.
    Ich fragte mich, was Martin dazu sagen würde, wenn ich
    ihm gegenüber andeuten würde, es gäbe Werwölfe und dass
    ich mich zu einem von ihnen irgendwie hingezogen fühlte?
    Ob er wohl den Scheiterhaufen betreten oder ob er die Män-
    ner in Weiß verständigen würde?
    Es würde jedenfalls sein ganzes Weltbild erschüttern.
    Und auch wenn ich seinen Glauben nicht teilte, respektierte
    ich ihn doch und könnte ihm niemals das wegnehmen, was
    ihn ausmachte. Aber seine Sichtweise zu dem Thema inte-
    ressierte mich brennend.
    Ob auch Istvan an Gott glaubte? Unwahrscheinlich bei
    dem, was er war. Andererseits könnte er Trost im Glauben
    finden bei der Bürde, die er anscheinend tragen musste.
    Schon komisch. Da trat ein Wolfsmann in mein Leben
    und schon verfolgten mich philosophische Gedanken über
    Glauben, Gott und Wahrheit.
    Ich hatte gedacht, diese Fragen für mich schon seit Lan-
    gem geklärt zu haben. Ich glaubte nicht an einen Gott, wie
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    ihn die Christen oder andere Religionsgruppen darstellten,
    aber ich glaubte an eine philosophische Art von Gott, einen
    Urgrund des Seins, an etwas, das größer war als ich selbst.
    Ich hatte nie viel über Schicksal oder Bestimmung nachge-
    dacht, ehe Istvan in mein Leben trat. Es kam mir unwahr-
    scheinlich vor, dass es einen unumstößlichen Plan geben
    sollte, in dem wir alle nur unseren Part erfüllen mussten.
    Dazu kam mir das Leben zu chaotisch vor. Ich hatte viel eher
    das Gefühl, dass alles sich immer veränderte, dass alles im
    Fluss war und wir selbst mit jeder Entscheidung, sei sie auch
    noch so gering, immer wieder unseren Weg vorzeichneten.
    Würde ich davon noch überzeugt sein nach dem, was Ist-
    van mir bald schon offenbaren würde?
    Ich konnte kaum noch geradeaus denken. Meine Ge-
    danken kreisten von A nach Z, zurück zu B und vorbei an F.
    Ich verlor mich vollkommen in meinen philosophischen
    Selbstbetrachtungen wie damals als Teenager, als mir alles
    so unzusammenhängend und verwirrend vorgekommen war.
    Irgendwie hatte die Bekanntschaft mit

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