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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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mir.
    Plötzlich ging mir ein Licht auf. Er hatte damals gleich
    gewusst, wo mein Haus war. Ich wollte es genau wissen.
    „Wusstest du deshalb, wo mein Haus ist, weil du es von
    deinem Lager aus schon kanntest?“
    „Ja, ich laufe dort auf meinen Patrouillen oft vorbei“, ge-
    stand er etwas eingeschüchtert.
    „Moment mal, wenn du erst seit ein paar Wochen hier
    lebst, wieso kennst du dich hier so gut aus? Wann hast du
    den verdammten Camaro nun gekauft?“
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    Meine Fragen brachen in einem Anfall von begreifender
    Panik aus mir heraus und wühlten mich so auf, dass ich das
    Gefühl bekam, keine Luft mehr zu kriegen. Er war wieder
    einmal von meiner Seite gewichen und drängte sich in die
    Ecke der Holzbrüstung, damit der Schatten seinen Gesichts-
    ausdruck verdeckte. Was jetzt kam, wollte er mir nicht ge-
    stehen, aber er tat es dennoch.
    „Den 69er Camaro habe ich genau dann gekauft. 1969.
    Ich kenne mich hier so gut aus, weil ich hier geboren wurde.“
    Seine Stimme klang hohl, leise und gebrochen.
    „1969? Dann bist du nicht 25? Oh mein Gott. Wann wur-
    dest du hier geboren?“, fragte ich ihn und trat ganz nahe an
    ihn heran, sodass ich, auch vom Schatten eingehüllt, wieder
    sein Gesicht sehen konnte.
    „Ich wurde 1920 geboren. Kurz bevor das Burgenland
    entstand. Meine Mutter lebte mit ihrer Familie in St. Ho-
    das, war aber ungarischer Abstammung, daher mein unga-
    rischer Vorname. Man könnte sagen, dass ich nach langer
    Zeit nach Hause zurückgekehrt bin“, bemerkte er mit einem
    leicht schiefen Lächeln, wobei seine Augen keine Anzeichen
    eines Lächelns zeigten.
    „Das bedeutet, du bist fast 90 Jahre alt. Genau so alt wäre
    meine Großmutter jetzt. Wahrscheinlich hast du sie sogar
    gekannt. Unfassbar!“
    Ich ließ mich jetzt gegen die Brüstung fallen. Mir war, als
    könnte ich jeden Moment aus den Latschen kippen. Jetzt
    nur nicht den Mut verlieren.
    „Ja. Ich kannte Helene tatsächlich. Du hast ihren Mund,
    wenn ich mich recht erinnere“, sagte er und verschreckte
    mich damit noch viel mehr.
    „Ich verstehe das nicht. Ich meine, was hat das Werwolf-
    sein mit dem Altern zu tun? Bist du gar unsterblich?“ Ich
    war nun vollends verwirrt und bedurfte einiger Klarstellun-
    gen durch Istvan.
    „Nein, ich werde sterben, irgendwann. Ich altere auch.
    Nur ist unser Alterungsprozess viel langsamer als der von
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    normalen Menschen. Wir benötigen etwa sieben oder acht
    Jahre, um ein Menschenjahr zu altern. Ich wurde mit 15
    gebissen und bin seither in den vergangenen 75 Jahren um
    10 Menschenjahre gealtert.“
    Er sprach darüber in einer klaren, fast unpersönlichen
    Art, als würde er mir die literarischen Vor- und Nachteile
    eines bestimmten Werkes erklären und nicht die Eckpfeiler
    seiner Werwolfexistenz. Ich konnte nur vermuten, dass es
    ihm so leichter fiel, mir diese Dinge zu offenbaren.
    „Eines muss man dir lassen. Du hast dich wirklich gut
    gehalten. Vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten
    Menschen, die mit dir aufgewachsen sind, bereits tot sind!“
    Wieder einmal hatte meine angespannte Nervosität zu einem
    unangebrachten Witz geführt.
    Er ignorierte meine Bemerkung und gestand mir ein
    dunkles Geheimnis.
    „Ich hatte mir oft gewünscht, mit ihnen tauschen zu kön-
    nen. Sehr oft sogar! Ein paar Mal hatte ich sogar daran ge-
    dacht, es nicht länger dem Zufall zu überlassen und es selbst
    in die Hand zu nehmen. Doch mein Glaube war zu stark,
    um …“ Seine Stimme klang mir zu ernst und entschlossen,
    als er das sagte. Er jagte mir mit diesem Geständnis mehr
    Angst und Unbehagen ein als mit allem anderen, was er heu-
    te bereits erzählt hatte.
    „Sag doch so was nicht! Daran darfst du nicht einmal
    denken. Du kannst doch nichts für deine Bürde. Ich versteh
    nicht viel von Glaubensdingen, aber das wäre wirklich eine
    Sünde. Versprich mir, dass du so was Dummes bloß nicht
    versuchst!“, forderte ich streng und packte ihn fest am Ober-
    arm. Ich glaube, ich schüttelte ihn sogar ein wenig.
    „Du musst dir keine Sorgen machen, Joe. Ich will mir
    nichts antun. Nicht mehr. Ich habe dieses dunkle Kapitel
    meines Lebens überwunden und seit Kurzem habe ich das
    Gefühl, dass es nicht mehr über mich kommen wird, dank
    dir.“ Sein grüner Blick durchbohrte mich.
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    Mit so einem Kompliment hatte ich nicht gerechnet. Ich
    hatte auch nicht das Gefühl, es zu verdienen, und seine An-
    deutung trieb mir die Schamesröte ins Gesicht.
    „Ich verdiene das nicht. Ich

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