Wolfsfieber
Unbegreiflich. Istvan war
offenbar ein Mann voller Widersprüche. Eines war jedenfalls
klar, mein VW Jetta hatte seinen Meister gefunden und ich
war heilfroh, dass ich ihn in der Garage geparkt hatte und er
sich nicht mehr in der Einfahrt befand.
Wir standen vor der rechten Wagenseite und er öffnete
mir die Tür. Ich stieg etwas linkisch ein und zog meinen Fuß
vom Trittbrett, damit er die Wagentür schließen konnte. Ich
war neidisch auf seinen tollen Camaro, der von innen genau-
so umwerfend aussah wie von außen.
Es war mir sofort bewusst, dass er auf seinem Wagen für
unseren „Ausflug“ bestand, weil die dunklen, getönten Schei-
ben neugierigen Blicken von außen keine Chance gaben. Es
galt schließlich, unauffällig zu bleiben. Schwierige Heraus-
forderung für einen glänzenden, amerikanischen Klassiker
mitten auf den südburgenländischen Landstraßen.
Er umrundete den Camaro und stieg ebenfalls ein. Wir
saßen nun wieder einmal zusammen in einem Wagen. Dies-
mal jedoch waren wir beide bekleidet und keiner hatte le-
bensgefährliche Verletzungen aufzuweisen.
Er startete das Auto und ein lautes, brummendes Motor-
geräusch war zu hören und zu fühlen.
„Wie kannst du dir eigentlich so ein Sammlerstück leis-
ten? Ich bin zwar kein Autokenner, aber ein Camaro aus den
späten 60ern dürfte alles andere als billig sein“, fragte ich
ihn erstaunt.
„Als ich ihn damals gekauft habe, war er eigentlich recht
günstig“, warf er knapp ein und in seinem Ton konnte man
keinerlei Anzeichen eines Zögerns hören wie sonst.
„Damals? Von welchem Damals reden wir hier eigentlich.
Wann hast du den Camaro gekauft?“, bohrte ich weiter, dies-
mal völlig perplex.
„Das ist eines der Dinge, die ich dir noch erklären muss.
Aber später. Ich möchte, dass du es verstehst und nicht nur
77
die Fakten kennst“, stellte er kryptisch fest und blickte ge-
heimnisvoll auf die Straße.
Während der ganzen Fahrt redeten wir kaum ein Wort. Es
war geradezu unerträglich still. Ich hatte das Gefühl, als wür-
de er auf dem Hinweg noch immer alle Gedanken und Ant-
worten, die er mir bald geben wollte, im Kopf durch gehen.
Seine innere Anspannung schien fast greifbar, weshalb ich
auch versuchte, auf der ganzen Fahrt nicht zu sprechen oder
ihn anzublicken. Deshalb wandte ich meine Aufmerksam-
keit dem Ausblick zu. Wir fuhren schnell, aber vorsichtig
von meiner abgelegenen Straße zur Hauptstraße von St. Ho-
das, die direkt nach Rohnitz führte. Wollte er mir etwas in
Rohnitz zeigen? Brachte er mich zum Unfallort? Nein. Ohne
auch nur einmal zu zögern, fuhr er an der Stelle unseres
nächtlichen Zusammenstoßes vorbei und der Camaro eilte,
vom kraftvollen Motorbrummen begleitet, nach Rohnitz. Die
dichte Reihe der Akazienbäume am Ende der Strecke nach
Rohnitz zog an mir als grüner Endlosstreifen vorbei. Er sah
stur auf die Straße und umklammerte dabei das Lenkrad. Er
schien innerlich sehr aufgebracht und versuchte verzweifelt,
einen ruhigen Eindruck zu erwecken. Der Versuch war zum
Scheitern verurteilt. Schon die schwache Reflexion seiner
Augen in den Fensterscheiben verriet seine Besorgnis. Das
alles ließ mich verstummen. Vom Rohnitzer Hauptplatz gin-
gen drei Wege aus. Er nahm den nach Norden in Richtung
des Geschriebensteines. Wollte Istvan mir etwas im Günser
Gebirge zeigen oder wollte er mich in einen der zahlreichen
Wälder bringen? Ich musste ihn jetzt fragen und versuchte,
meine Stimme dabei so sanft wie möglich klingen zu lassen.
„Fahren wir in den Wald?“
„Nicht ganz. Ich weiß nicht, wie gut du die Nordseite
kennst, aber ich möchte dir dort etwas zeigen“, sagte er und
blieb weiter unbestimmt und geheimnisvoll. Wir ließen die
Spitze des Geschriebensteines hinter uns und fuhren nun
abwärts Richtung Lockenburg. Auf dieser Seite kannte ich
mich weniger aus als auf den Südhängen. Dennoch war sie
78
mir vertraut. Immerhin war ich diese Strecke jede Woche
gefahren, die ganzen vier Jahre meines Studiums lang. Es
war die weniger gefährliche Seite, was den kurvigen Straßen-
verlauf anging. Es gab hier einige Wanderwege und ein paar
Aussichtsplattformen wie die zur Burg.
Nach ein paar weiteren Kurven waren wir an einer Ab-
biegung angelangt. Ich erkannte sie nicht gleich. Wir fuhren
offenbar zum Besucherparkplatz des Aussichtsturms „Marga-
rethe“. Was wollte er mir auf der Aussichtswarte bloß zeigen,
was mir half, ihn und
Weitere Kostenlose Bücher