Wolfsfieber
war es schon sehr dunkel.
Es konnte nicht mehr lange dauern. Er saß im Wohnzim-
mer auf einer braunen Ledercouch und ich saß ihm gegen-
über in einem Ledersessel. Wir beide waren verkrampft und
wussten nicht so recht, wie wir uns verhalten sollten. Es
wirkte, als würden wir in einem Wartezimmer sitzen und
darauf warten, dass endlich jemand kommen würde, um
uns zu erlösen. Doch niemand kam. Niemand außer dem
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Schmerz. Sobald es sechs geworden war, fing es an. Zuerst
hatte ich nur den Eindruck, er hätte Migräne. Er rieb sich
öfter die Stirn oder fuhr sich gepeinigt durch die Haare.
Bald hielt er das Licht in dem großen Raum nicht mehr
aus und schaltete die Leuchter ab. Von da an saßen wir im
Dunkeln. Ich fühlte mich unnütz, da ich nichts tun konn-
te, ihm nicht helfen konnte. Eine halbe Stunde später ging
es dann richtig los. Er fing an zu schwitzen und zu zittern,
wie ich es noch bei keinem Menschen gesehen hatte. Sei-
ne Adern traten in einem unvorhersagbaren Rhythmus vor
und zurück. Die blauen Linien schienen fast seine leicht
gebräunte Haut zu durchbrechen, wenn es ganz schlimm
wurde. Er hielt es mittlerweile nicht mehr im Sitzen aus.
Ich wollte ihm helfen, erinnerte mich aber immer an seine
Anweisungen. Auch gab er mir jedes Mal, wenn ich mich in
seine Richtung neigte, ein eindeutiges, hektisches Zeichen,
mein Vorhaben zu unterlassen. Ich gehorchte. Er sprach fast
kein Wort, abgesehen von dem Wimmern und den Geräu-
schen seiner heftigen Atemzüge.
„Wir sollten – ah – ah – in mein Schlafzimmer gehen. Ich
will. Ich muss mich hinlegen“, sagte er mir und stand so un-
geschickt auf, dass er beinahe hingefallen wäre. Ich war ganz
automatisch, ohne nachzudenken, an seine Seite gekommen
und hatte seinen Sturz gerade noch abgefangen. Er lehnte
sich nun an mich.
„Ich sagte doch – nicht anfassen!“, stieß er panisch und
atemlos hervor.
„Es war ein Reflex. Aber jetzt kann ich dir wenigstens ins
Bett helfen. Wo ist das Schlafzimmer?“, fragte ich und ver-
suchte, ihn so gut wie es ging zu stützen. Er strömte eine
unglaubliche Hitze aus und war schweißgebadet.
Ich fasste an seinen feuchten Rücken und versuchte, mit
ihm mehr schlecht als recht den Korridor entlangzukom-
men.
Er deutete dabei nach rechts. Das Zimmer lag gegenüber
der englischen Bibliothek, die ich bereits kannte.
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Ich stieß die Tür mit meinem Fuß auf, da ich meine
Arme brauchte, um seinen Körper aufrecht zu halten. Ihm
sackten immer wieder die Beine weg. Der Raum hatte ein
großes Bett an der hinteren Seitenwand, ein paar Kommo-
den, zwei Regale, einen Plattenspieler und einen übervollen
Schreibtisch. Alles war, im Gegensatz zum übrigen Haus,
sehr spärlich eingerichtet, fast spartanisch. Das Erste, was
mir sofort auffiel, war die Balkontür, die direkt in den Garten
führte und die wohl der Grund war, wieso er diesen Raum
als Schlafzimmer ausgesucht hatte. Besonders praktisch in
Nächten wie diesen.
Ich brachte ihn bis zur Bettkante, wo er meinen Arm wie-
der wegzog und dabei ins Bett fiel. Istvan hatte gar keine
Möglichkeit, sich irgendwie hinzulegen. Sobald sein Körper
auf dem Bett gelandet war, krampfte er so sehr, dass er sich
von einer zur anderen Seite wälzte. Er konnte kaum noch die
Schreie unterdrücken. Es war unvorstellbar. Derselbe Mann,
den ich angefahren hatte und der dabei nicht die kleinste
Spur von Schmerzen erkennen ließ, litt nun Höllenqualen.
Sein sandfarbenes Haar war von dem Fieber ganz feucht ge-
worden und stand nun in alle Richtungen ab. Er fuhr jetzt
immer öfter mit der Hand in sein Haar und ballte sie dabei
zur Faust, ein paar Haarsträhnen fest mit eingeschlossen.
Jetzt wusste ich auch, warum er mich nach dem Waden-
krampf gefragt hatte, denn eine Stunde nachdem die An-
zeichen seiner Verwandlung eingesetzt hatten, begannen die
Muskeln in seinem Körper zu verkrampfen. Sie härteten sich
derart, dass sie fast wie Steinbrocken aussahen. Einmal tra-
ten die Adern seines Arms hervor und gleichzeitig spannten
sich sein Unterarmmuskel und sein Bizeps derart an, dass
es aussah, als wäre er eine übertrieben gestaltete Marmor-
statue eines Athleten. Neben seinem nicht enden wollenden
Stöhnen schrie er jetzt immer öfter dumpf. Es brach mir das
Herz. Ich wünschte mir verzweifelt, seinen Schmerz von ihm
zu nehmen oder ihn zumindest zu teilen. Wieso konnte ich
nicht die Hälfte seiner Bürde für ihn
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