Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
Vom Netzwerk:
auf?
    Ich fühlte, wie er näher an meine Seite herankam. Ein Arm
    streifte über meinen Oberarm, ganz sanft. Eine Hand, seine
    Hand, strich mir übers Haar. Ich konnte fühlen, dass sein
    Gesicht über meinem war und mich betrachtete. Ich wagte
    nicht einmal daran zu denken, jetzt die Augen zu öffnen. Ich
    wurde an meinem Rücken von seiner Wärme durchdrungen
    und konnte die Länge seines ganzen, menschlichen Körpers
    fühlen. Seine Hand strich eine Strähne meines Haares von
    meiner Wange hinter mein Ohr und er hauchte, beinahe un-
    hörbar:
    „Ich kann nicht glauben, dass du geblieben bist. Ich kann
    nicht glauben, dass du noch da bist. Ich kann nicht glauben,
    dass du es bist.“
    Er entfernte sich wieder von mir und ich hörte, wie er
    etwas von dem Wasser trank, das sich noch in der Kiste be-
    fand.
    Nun rührte ich mich ein wenig und ließ ihn wissen, dass
    ich wach war. Er lächelte mich an. Der ganze Morgen eines
    ganzen Lebens schien mich anzulächeln, neu und unver-
    braucht. Keine Spur der Reue oder des Bedauerns auf sei-
    nem Gesicht.
    125

    Ich würde auch morgen wieder bei ihm sein dürfen und
    auch in der letzten Nacht. Ich würde jeden Morgen wieder
    da sein, um ihn abzuholen. Das wussten wir beide. Und so
    kam es auch.
    Ich kam jeden Abend und half ihm, so gut es ging, die
    Schmerzen zu ertragen und am nächste Morgen holte ich
    ihn vom Südlager ab, wobei er an den nachfolgenden Mor-
    gen nie wieder so nahe an mich herankam wie an dem ersten.
    Der einzige weitere Unterschied war, dass ich nun jedes Mal
    den nackten Istvan auf mich zukommen sah, der seine Blöße
    ungeschickt umfing, woraufhin mir jedes Mal die Schames-
    röte ins Gesicht stieg und ich ertappt zu Boden starrte, um
    ihm danach ungeschickt die Anziehsachen zu reichen.
    Aber trotz allem war ich zufrieden. Ich hatte gesehen, was
    ich sehen musste, und mein Versprechen gehalten. Ich wür-
    de auch weiterhin seine Freundin sein und konnte ihn nun
    noch besser verstehen. Das würde vieles leichter machen,
    hoffte ich zumindest.
    126

8. Wolfsblut im Schnee
    Seit den letzten Vollmondnächten hatte ich Istvan endlich
    dazu gebracht, mir bedingungslos zu vertrauen. Er erlaub-
    te mir sogar, manchmal am Abend vorbeizukommen, auch
    wenn es etwas unvernünftig war. Deshalb ließ ich meinen
    Wagen, den man wahrscheinlich sofort erkannt hätte, im-
    mer zu Hause und ging über den Waldrandweg zu seinem
    Haus. Ich nahm die Abkürzung über den Friedhof, wo zu be-
    stimmten späten Stunden kein Mensch mehr zugegen war,
    und ging weiter über den Hinterhof zu seinem kleinen, et-
    was versteckten Garten, den man von außen kaum einsehen
    konnte. Wieder einer dieser angeblichen Zufälle, die mir klar
    machten, wieso er ausgerechnet die frühere Schule als sein
    neues Zuhause gewählt hatte.
    Ich hielt unsere neuen Gewohnheiten nicht für unver-
    nünftig oder unvorsichtig, da ich nun nicht mehr täglich in
    der Bibliothek auftauchte, was mir selbst schon verdächtig
    vorkam. Außerdem konnte ich mir so seine persönlichen Sa-
    chen genauer ansehen. Wir saßen die meiste Zeit im Wohn-
    zimmer, wo er auch ein kleines Büro hatte, oder im Eng-
    lischen Büchersaal, schließlich gab es dort die umwerfende
    Plattensammlung, die ich auch nach Wochen noch nicht
    vollständig ergründet hatte.
    Meistens, wenn ich abends kam, suchte ich mir ein paar
    Platten aus, die wir dann im Wohnzimmer mithilfe seiner
    Hi-Fi-Anlage anhörten. Den kleinen Koffer-Plattenspieler
    in seinem Schlafzimmer benutzten wir nie. Ich betrat das
    Schlafzimmer ohnehin nur, wenn ich ihm half, die Verwand-
    lungsschmerzen zu überstehen. Beim Abspielen der unzäh-
    ligen Platten versorgte er mich immer mit gutem Rotwein
    aus dem Burgenland oder Niederösterreich, den er extra
    127

    für mich besorgte, denn Istvan trank nicht. Nicht etwa aus
    Überzeugung, sondern weil, wie er mir einmal gestand, Al-
    kohol auf ihn nicht die geringste Wirkung hatte, ebenso we-
    nig wie Koffein. Wir passten unsere Unterhaltungen dabei
    der Musik an. So sprachen wir beim Hören von Mozart oder
    Beethoven über die Werke von Goethe und Schiller. Hörten
    wir jedoch Jazz von Chet Backer oder Coltrane sprachen wir
    über Beatnick-Autoren wie den Amerikaner Jack Kerouac
    oder Anais Nin. Er kannte jedes Buch. Es war unglaublich.
    Ich las auch viel, doch Istvan kannte jedes Buch, von dem
    ich irgendwann einmal gehört hatte. Manche davon sogar
    fast auswendig. Es war schwer für mich mitzuhalten, wenn
    er mit

Weitere Kostenlose Bücher