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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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hörte ich das Eingangstor auf-
    und zuschnappen und drehte mich automatisch um. Binnen
    weniger Sekunden stand Istvan in der Tür, groß und ent-
    schlossen. Er trug das gleiche dunkelblaue Hemd wie zuvor.
    Auch ich hatte mich nicht umgezogen und noch immer die
    schwarze Jeans und den schwarzen Rollkragenpulli an. Das
    Einzige an mir, das nicht schwarz war, war mein grüner Par-
    ka. Er lehnte am Türrahmen und schien irgendetwas in der
    Hand zu haben, das wie ein Block wirkte.
    Er sah mich lange an, bevor er zu meinem Schreibtisch
    kam. Ich zog meine Jacke aus und versuchte, es mir in dem
    Schreibtischdrehstuhl bequem zu machen. Istvan schien
    es unmöglich, locker oder unverkrampft zu sein. Er kam an
    meine Seite und setzte sich halbherzig auf den Tisch, immer
    noch zum Zerreißen angespannt. Jetzt, wo er nur Zentimeter
    von mir entfernt war, konnte ich sehen, was er in der Hand
    hielt. Es war ein Plan, eine Karte von unserer Gegend.
    „Und du bist immer noch fest entschlossen?“, frage er
    wieder nach meinen Absichten.
    „Ja.“
    „Dann soll es so sein!“, sagte er mit einem Ausdruck ge-
    zwungener Entschlossenheit.
    Er breitete mit einem einzigen schnellen Handgriff die
    Karte, die das Gebiet um den Geschriebenstein umfasste,
    vor uns auf dem Schreibtisch aus. Sie bedeckte den ganzen
    Tisch und strotzte nur so vor Grünflächen und Waldgebie-
    ten. Die grünen Wälder in Istvans Augen, dachte ich sofort
    und musste mich beherrschen, um meine Gedanken nicht
    laut zu äußern.
    „Also, ich habe dir doch erzählt, dass ich zwei Lager in
    meinem Revier habe. Das erste Lager befindet sich hier.“
    Er zeigte dabei auf die Passhöhe, den Geschriebenstein,
    und damit auf den höchsten Punkt. In kleiner Kursivschrift
    stand nahe diesem Punkt das Wort „Wolftanz“ geschrieben
    114

    und bezeichnete damit den Wald, den Istvan als nördlichen
    Lagerplatz benutzte.
    „Du kommst ganz leicht von dem Besucherparkplatz über
    einen kurzen Wanderweg dorthin. Du musst nur einen klei-
    nen Abstecher vom offiziellen Wanderpfad machen. Hier.“
    Wieder zeigte er auf einen kleinen Trampelpfad und darauf,
    wo man abbiegen musste, um zu seinem Lager zu kommen.
    Mit einem einzigen Zug fuhr sein langer, schlanker Finger
    die Karte hinab und hielt an einer anderen Stelle, auf dem
    Südhang des Gebirges gelegen.
    „Hier. Ganz nahe deinem Haus. Siehst du den Stein-
    bruch?“, wollte er wissen. Ich nickte. Er kam mir jetzt wie
    ein Geografielehrer vor, der einfach nur ein Gelände erklär-
    te, sachlich und ohne jede erkennbare Emotion.
    „Du kennst ja die Straße zum Steinbruch. Kurz vor dem
    Ende musst du die Anhöhe des Waldes etwa einen Kilometer
    hinauf, dann kommst du geradeaus zu einem großen Stein.
    Von dort gehst du einen halben Kilometer nach links. Dort
    ist mein südlicher Lagerplatz. Du wirst mich wahrscheinlich
    dort finden, wenn du mich nach dieser Nacht überhaupt
    noch finden willst“, bemerkte er mit einem beißenden Unter-
    ton, der mir verriet, dass er eigentlich damit rechnete, dass
    nach dieser Nacht unsere Freundschaft, oder was immer uns
    verband, Geschichte sein würde.
    Er hatte offenbar kein Vertrauen in mich. Ich war fester
    entschlossen denn je, ihm das Gegenteil zu beweisen.
    „So. Das war jetzt der einfache Teil. Zu heute Nacht. Was
    dich erwartet, ist kein schöner Anblick. So viel schon mal
    vorweg. Ich werde Fieber bekommen, sehr heftig. Ich wer-
    de Krämpfe haben. Sobald es sechs ist und die Dämmerung
    wirklich beginnt und der Mond anfängt aufzugehen, bin ich
    extrem lichtempfindlich. Meine Kopfschmerzen werden sehr
    stark sein. Meine Adern werden deutlich hervortreten. Die
    weiteren physischen Details der Verwandlung erspare ich dir
    lieber. Du wirst selbst sehen, was ich meine“, sagte er und
    versuchte mir damit offenbar Angst einzujagen.
    115

    Aber ich war, wie gesagt, bereits fest dazu entschlossen und
    Istvan kannte meine legendäre Sturheit noch nicht so gut.
    „Wie wird es für dich sein? Sind die Schmerzen immer so
    stark?“, fragte ich zögerlich und hatte Angst vor der Antwort,
    Angst um ihn.
    „Wie soll ich dir das erklären?“ Er überlegte, dann fragte
    er mich:
    „Hattest du schon mal einen Wadenkrampf?“
    „Ja, natürlich. Ist echt unangenehm. Tut ganz schön weh“,
    antwortete ich ehrlich.
    „Ja, das tut es. Und nun stell dir vor, jeder Muskel deines
    Körpers würde sich genauso verkrampfen und würde diesel-
    ben Schmerzen verursachen. Stell dir vor, jeder

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