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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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mir über Bücher sprach, und wir waren oft, allzu oft,
    anderer Meinung. Wenn wir dann über Bücher oder Auto-
    ren stritten, war es nie unangenehm, ganz im Gegenteil, ich
    hatte es noch nie so genossen, mit jemandem über etwas zu
    diskutieren. Mit jedem weiteren Abend und jedem Besuch
    in der Bibliothek lernte er mehr über meine Sturheit und
    ich lernte aus seinen literarischen Neigungen, dass er sich
    nur zu gern mit Figuren und Helden identifizierte, die mit
    sich selbst im Konflikt standen. Heldenhafte Figuren lehnte
    er ab, ebenso wie berühmte weibliche Figuren, die schwach
    und unselbstständig waren. Das entsprach nicht seinem
    Frauenbild, was ich ungewöhnlich fand für einen Mann, der
    in den 30ern aufgewachsen war. Doch wie ich von seiner
    Mutter Maria wusste, war sie eine starke, selbstständige
    Frau. Von daher ergab es schon eher Sinn. Er favorisierte
    deshalb ausschließlich willensstarke, ungewöhnliche Hel-
    dinnen, auch wenn diese eher unmoralisch handelten. Eine
    seiner amerikanischen Lieblingsheldinnen war die verbotene
    Liebhaberin aus „Der Scharlachrote Buchstabe“. Ich teilte
    seine Überzeugung, wobei meine liebsten Romanheldinnen
    aus einer anderen Zeit stammten. Besonders schwärmte Ist-
    van für Alexandre Dumas’ Kameliendame, die als unmora-
    lische Frau ihren Liebsten wegstößt, um ihn zu retten. Er
    liebte diese Figur schon aus dem Grund, weil sie die Vorlage
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    zu seiner Lieblingsoper La Traviata lieferte. Er hatte sogar
    mehrere Schallplatten über verschiedene Inszenierungen
    von Verdis La Traviata. Seine absolute Lieblingsaufnahme
    war die von 1953, da in dieser Inszenierung Maria Callas die
    Violetta sang. Jedes Mal, wenn er mir diese Opernmelodien
    vorspielte, besonders bei den Arien von Violetta, schweifte
    sein grüner Blick in eine unendliche Weite und er bekam
    einen ähnlich friedlichen Ausdruck wie beim Lesen eines in-
    teressanten Buches. Dann fiel es mir am schwersten. Dann
    war es fast unmöglich, ihn nicht zu berühren. Doch in diesem
    Punkt hatte sich in unserer Freundschaft nichts geändert.
    Wir berührten uns jetzt nicht mehr. Eigentlich nicht mehr
    seit seinem Geständnis im Wald nach der ersten Verwand-
    lungsnacht, von dem ich eigentlich nichts wissen durfte.
    Es war frustrierend, so viel mit jemandem zu teilen, all
    diese Geheimnisse und Gedanken, und dann immer nur mit
    einer Armlänge Abstand beieinanderzusitzen. Ich fragte mich,
    ob sich das je ändern würde oder ob von nun an die Konturen
    unserer Freundschaft fest in Stein gemeißelt waren.
    In der Zwischenzeit war es November geworden. Einer der
    kältesten November, die wir je hatten. Es gab einen frühen
    Wintereinbruch. So kam es, dass schon eine reichliche Menge
    Schnee gefallen war, die nicht wie üblich wieder wegschmolz,
    sondern den gesamten Wald bedeckte. Die Vollmondnäch-
    te dieses Monats standen unmittelbar bevor und ich hatte
    dieses Mal keinen Zweifel daran, dass ich bei Istvan bleiben
    durfte. Ich würde ihm wieder beistehen, dessen war ich mir
    ganz sicher, und ein Teil von mir hegte die leise Hoffnung,
    dass auch dieses Mal eine kleine Unachtsamkeit von Istvan
    die Anziehung zwischen uns erneut entfachen könnte.
    In der ersten Nacht wartete ich in seinem Haus auf ihn.
    Er kam direkt von der Bibliothek und hatte noch ein paar der
    englischen Bücher auf dem Arm, die er wieder zurückstellen
    musste. Es hatte sich tatsächlich jemand, außer mir selbst,
    ein englisches Buch ausgeliehen. Ich konnte es kaum glau-
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    ben. Ich war neugierig und er ließ mich einen Blick in die
    Unterschriftenkarte werfen. Es war die Englischlehrerin des
    Gymnasiums von Rohnitz. Das passte. Ich schüttelte amü-
    siert den Kopf und Istvan stimmte in mein Grinsen mit ein.
    In dieser Vollmondnacht waren seine Schmerzen zwar
    schlimm, aber sie nahmen seinen Verstand nicht derart in
    Anspruch wie sonst, sodass wir uns manchmal unterhalten
    konnten. Ich hatte das Gefühl, es lenkte ihn ein wenig von
    den körperlichen Qualen ab.
    In dieser Nacht war etwas anders als sonst. Normalerwei-
    se hatte es Istvan in seiner Wolfsform sehr eilig zu verschwin-
    den. Seine Instinkte trieben ihn dann immer so schnell wie
    möglich zu den nahe gelegenen Wäldern. Doch diesmal blieb
    er etwas länger. Ich streichelte ihn, wie ich es bereits beim
    allerersten Mal getan hatte. Ein wohliges Knurren bekam ich
    als Antwort. Ich kniete mich daraufhin zu ihm hinunter und
    ließ den Wolf seinen Kopf in meinen Schoß

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