Wolfsfieber
gab bei uns nur noch wenige Schafhalter und noch weni-
ger Füchse. Schon gar nicht kamen sie in ein Dorf und ris-
sen dort Lämmer. Ich fragte mich, was wohl dahintersteckte,
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und musste, ganz ohne jede böse Absicht, an die Tatsache
denken, dass ich jetzt wusste, dass es Werwölfe gab. Ob das
irgendetwas mit diesem Vorfall zu tun hatte?
„Der Meyer, Franz heißt er, glaube ich, und der Bürger-
meister erwarten dich um halb fünf“, fügte er noch hinzu.
Er ging natürlich davon aus, dass ich die Story machen
würde. Schließlich war die ganze Sache in St. Hodas gesche-
hen und ich wohnte dort. Und Frank konnte ja nicht wissen,
dass ich um diese Zeit andere Verpflichtungen hatte, die ich
ihm nicht als Grund für eine Absage angeben konnte. Also
sagte ich zu, schnappte mir meine Kamera und verabschiede-
te mich schnell und etwas unhöflich von meinen Kollegen.
Es war gerade vier Uhr geworden, also versuchte ich, Istvan
noch in der Bibliothek zu erwischen. Ich hatte die Nummer
gespeichert und wartete nervös und ungeduldig auf eine Ant-
wort. Doch am anderen Ende der Leitung hörte ich nur das
Freizeichen und kurz danach die Bandansage, dass die Bü-
cherei derzeit unbesetzt sei, aber man eine Nachricht hinter-
lassen könne, was ich tat. Ich telefonierte beim Fahren und
hielt den Hörer ungeschickt an ein Ohr, während ich mit der
anderen Hand den Wagen lenkte, wenig gekonnt. Ich musste
meine Nachricht möglichst neutral halten, da ich nicht wis-
sen konnte, ob nicht doch jemand zuhörte.
„Istvan, hier ist Joe vom Lokalblatt. Ich wollte Sie nur
da rüber informieren, dass ich die Verabredung dieses Mal
nicht einhalten kann. Ein anderer Auftrag kam dazwischen.
Rufen Sie mich bitte zurück, sobald Sie das abhören.“
Meine Ansage war klar und gleichzeitig unbestimmt ge-
nug, um keinen Verdacht zur erregen. Die Verwendung der
höflichen Sie-Anrede war vielleicht etwas übertrieben, aber
mir blieb keine Zeit für Raffinesse.
Nachdem ich aufgelegt hatte, wählte ich die nächste
Nummer, den Festnetzanschluss seines Hauses, den ich
unter I. J. abgespeichert hatte. Alles im Namen der Geheim-
haltung. Wieder hob keiner ab und ich musste eine weitere
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Nachricht auf einen Anrufbeantworter sprechen. Diese fiel
deutlich persönlicher aus.
„Istvan, ich bin’s, Joe. Es ist etwas passiert. Ich habe
einen dringenden Auftrag bekommen und kann nicht zu
dir kommen, wie üblich. Ich muss dir aber unbedingt etwas
erzählen. Es könnte wichtig sein. Ruf mich sofort zurück.
Ich werde versuchen, gleich nachdem ich fertig bin zu dir zu
kommen. Ach ja, und bitte besorg dir ein Handy.“
Seine Weigerung, ein Mobiltelefon zu benutzen, kam in
diesem Moment sehr ungelegen.
Ich bog von der Schnellstraße nach St. Hodas ab und
nach der dritten Straße nahm ich den langen Feldweg. Nach
einer kurzen Fahrt stand ich vor dem alten Meyer-Hof. Der
alte Franz Meyer war noch einer der wenigen Bauern im
Dorf und hatte sich vor eine paar Jahren zu seinen Kühen
und Schweinen noch eine Schafherde angeschafft. Vorwie-
gend ging es ihm um die Wolle.
Als ich den Motor abgestellt hatte, sah ich bereits Tau-
cher und den alten Meyer mit dem krummen Rücken, die
auf meine Ankunft warteten. Ich atmete kurz durch und
schnappte mir die Kamera.
Der besorgte Ausdruck von Bernd und der des alten
Bauern machten mich nicht gerade zuversichtlich. Ich ließ
ein leises und vorsichtiges „Hallo“ fallen, das vom Bürger-
meister in derselben Weise erwidert wurde. Der alte Meyer
konnte seinen Ärger nicht mal so lange unterdrücken, bis er
mich begrüßt hatte. Er tobte sofort.
„Das muss man gesehen haben! Es ist unglaublich! Was
zum Teufel hat dieses Ding bloß mit meinen armen Schafen
gemacht? Bitte, sieh dir das an“, schrie er förmlich und wink-
te mir, zu den Stallungen zu kommen.
Taucher folgte uns und wirkte, als hätte jemand die Luft
aus seinem Körper gelassen. So schweigsam hatte ich ihn
noch nie gesehen.
Wir betraten über einen matschigen Weg die Koppel. So-
fort sah ich, was den Bürgermeister verstummen und den
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Bauer vor Wut toben ließ. Inmitten der von Schnee bedeck-
ten Einzäunung lagen ein Dutzend Schafe mit zotteliger,
braun-weißer Wolle, die mit vertrocknetem Blut befleckt
waren. Ein paar von ihnen hatten deutliche Bisswunden.
Anderen waren die Innereien herausgerissen worden. Es
war ein widerlicher, schockierender Anblick. Ich konnte mir
beim
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