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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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versuchte, nicht allzu viel da-
    rüber nachzudenken. Schon bevor meine Finger die Haut
    berührten, öffnete er die Augen.
    „Gefällt dir der Kranz? Ich habe keinen mehr gemacht
    seit fast siebzig Jahren“, sagte er und grinste dabei spöttisch.
    Er war anscheinend noch in derselben neckischen Laune
    wie letzte Nacht in seiner Wolfsform.
    „Ja, ist mal etwas anderes. Ich habe bestimmt seit meiner
    Kindheit keinen Zweigkranz mehr getragen“, antworte ich
    ihm und setzte den Kranz wie eine Krone auf mein Haupt,
    ebenfalls breit lächelnd.
    „Na, wie sehe ich damit aus?“, fragte ich herausfordernd
    und drehte meinen Nacken in einer präsentierenden Pose,
    die mir etwas lächerlich vorkam.
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    Er musste laut auflachen und konnte sich gar nicht mehr
    einkriegen. Istvan vergrub sogar vor lauter heftigem Geläch-
    ter sein Gesicht in der Decke.
    „Was? Was ist? Was ist denn so komisch?“, wollte ich wis-
    sen und konnte mir ebenfalls das Lachen nicht verkneifen.
    „Wir beide, Joe. Erinnert dich diese Szene nicht an et-
    was?“, fragte er, wobei ich ihn kaum verstehen konnte, weil
    er vom vielen Lachen ganz atemlos klang. Ich zuckte ah-
    nungslos mit den Achseln.
    „Du mit der Zweigkrone und ich splitterfasernackt und
    dann noch das Ganze mitten im Wald. Wir beide sehen aus
    wie Lady Chatterley und ihr Liebhaber.“ Oh!
    Jetzt verstand ich und musste ebenfalls laut auflachen,
    bis ich nur noch mein Gesicht in der Decke vergraben konn-
    te. Er hatte auf die Szene angespielt, in der die verheiratete
    Lady ihren Wildhüter symbolisch ehelicht und das so, wie
    Gott sie schuf. Es war zu komisch. Fast schon absurd. Aber
    er hatte recht. So mussten wir aussehen.
    Nachdem wir uns beruhigt hatten und er endlich angezo-
    gen war, scherzten wir noch den ganzen Tag und auch in der
    darauffolgenden Vollmondnacht über den Liebesroman von
    D. H. Lawrence. Wobei er sich am nächsten Morgen einen
    Spaß daraus machte, die kitschigsten und treffendsten Pas-
    sagen daraus zu rezitieren.
    Vor ein paar Wochen hätte ich es noch für absolut un-
    möglich gehalten, dass wir beide in solchen Situationen he-
    rumalbern konnten. Doch wir hatten es geschafft.
    Am dritten Tag konnte ich es kaum noch erwarten, wie-
    der bei ihm zu sein und weitere ungewöhnliche Erfahrungen
    dieser Art mit Istvan zu machen. Doch ich sollte bitter ent-
    täuscht werden.
    Ich war an diesem Tag nicht in der Bibliothek, da ich für
    einen Auftrag, eine Gedenkveranstaltung für einen Wissen-
    schaftler, nach Wart musste. Ich lieferte die Bilder, die ich
    von der Gedenkfeier gemacht hatte, gleich in der Redaktion
    ab und fragte, ob ich einen der PCs benutzten dürfte, um
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    meinen Artikel gleich in das Layout zu schreiben. Im Hinter-
    gedanken sicherte ich mir damit mehr Freizeit, um heute
    Abend den Kopf ganz für Istvan und die letzte Vollmond-
    nacht freizuhaben. Ich war recht flott mit dem Artikel fertig.
    Ich hatte nur zwei Spalten zur Verfügung und das Thema
    schrieb sich fast von selbst. Ich wollte gerade aus dem Com-
    puterprogramm aussteigen, da trat Frank, der Chefredakteur
    des Lokalblattes, an mich heran. Frank war ein dreißigjäh-
    riger, ehemaliger Basketballspieler mit brauner Haut und
    brünetten, kurzen Haaren. Er war ein riesiger Mann,
    über 1,90, genau konnte ich es nie sagen. Er hatte dieses
    Lächeln, das er immer aufsetzte, wenn er etwas von einem
    wollte. Ich machte auf dem übervollen Schreibtisch etwas
    Platz, damit ich meinen Ellbogen abstützen konnte.
    „Du siehst so aus, als hättest du mir etwas zu sagen. Na
    dann, raus damit.“
    Er druckste herum. Eine komische Angewohnheit für
    einen Chef, aber ich hatte mich daran gewöhnt.
    „Na ja. Ich habe gerade einen Anruf von eurem Bürger-
    meister bekommen. Etwas ist bei euch passiert, auf dem
    Meyer-Hof“, sagte er und rieb sich dabei hektisch die Nase.
    Er schien etwas verschnupft zu sein. Kein Wunder bei die-
    sem kalten Novemberwetter.
    „Taucher hat dich angerufen? Wieso? Was gibt’s denn so
    Außergewöhnliches auf dem Meyer-Hof?“, fragte ich ein we-
    nig irritiert. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, worum es
    dabei gehen könnte.
    „Angeblich hat er fast seinen ganzen Schafbestand verlo-
    ren. Irgendetwas hat die Schafe angegriffen und die meisten
    getötet. Du solltest dir das selber ansehen und mach ein paar
    Fotos. Aber nichts zu Blutiges, sonst laufen noch die Anzei-
    genkunden Sturm.“
    Er schien ebenso überrascht über diesen Vorfall wie ich.
    Es

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