Wolfsfieber
besten Willen nicht vorstellen, wie ein einzelner wilder
Fuchs das hätte anrichten können. Es musste ein tollwütiger
Hund oder eher ein ganzes Rudel von Raubtieren gewesen
sein. Ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich davon ein
Foto machen sollte ohne blutige Details, denn das Blut der
armen Schafe war überall.
Ich nahm meine Kamera, ging ein paar Meter zurück, um
eine Totalaufnahme zu machen, die weniger Details erken-
nen ließ.
Als ich fertig war, ging ich zum Bürgermeister zurück und
fragte ihn, noch immer ziemlich geschockt:
„Weiß man schon, was das gewesen sein könnte?“
„Der Tierarzt war schon vor ein paar Stunden da. Er ver-
mutete zuerst einen Fuchs. Beim Vermessen der Bisswun-
den änderte er seine Meinung und meinte, dass es wohl ein
tollwütiger Wolf sein müsste“, erklärte er sachlich. Mir blieb
beim Wort Wolf das Herz stehen und ich fühlte regelrecht,
wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich. Ich drehte mich
um, um nicht länger dieses Massaker sehen zu müssen.
„Alles in Ordnung mit dir, Joe? Ist dir schlecht?“, fragte er
mit besorgter Stimme.
„Nein, schon o. k. Ich habe nur nichts gegessen und be-
stimmt nicht erwartet, ausgerechnet so was zu sehen“, er-
klärte ich und mein Tonfall machte noch immer einen
schwachen Eindruck.
„Was wird jetzt geschehen? Wegen des Angreifers, meine
ich“, fragte ich und schluckte dabei einen riesigen Kloß im
Hals hinunter.
„Ich habe gleich die zuständige Behörde verständigt und
sehr schnell eine Abschussgenehmigung erhalten“, sagte er
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selbstzufrieden und grinste mich dabei an. Ich kämpfte be-
reits gegen eine nahende Ohnmacht.
„Abschussgenehmigung?!“, schrie ich förmlich, wobei
Meyer mich böse anfunkelte.
„Ja, natürlich. Die Jäger sind verständigt und suchen nach
einem kranken Wolf, den sie schießen sollen“, fügte er hinzu,
während ich bereits zum Auto lief, panisch und ohne auch
nur einmal zurückzublicken. Ich ließ die beiden einfach ste-
hen und hievte mich in mein Auto. Die Kameratasche fiel
dabei unsanft auf den Unterboden meines Wagens.
Es war fast fünf. Die Zeiger der Uhr logen nicht. Ich
versuchte den Wagen zu starten und drehte dabei fast den
Schlüssel ab. Beim Ausparken starb mir zweimal der Mo-
tor ab. Wozu ich nur „Komm schon, verdammte Karre!“
schrie.
Beim Verlassen des Meyer-Hofes quietschten meine
Reifen, als würde ich an einem Formel-1-Rennen teilneh-
men. Und genauso fuhr ich auch. Ich blinkte nicht, hielt
mich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung und fuhr
wie eine Irre. Mein erster Stopp war sein Haus. Ich ließ
den Motor an und zog grob die Handbremse. Mit ein paar
hektischen Schritten war ich im Haus, durchsuchte jedes
Zimmer und schrie dabei immer panisch seinen Namen. Ich
ging zur Bib liothek, doch auch dort war keine Spur von ihm
zu sehen. Die Bücherei war bereist verschlossen und ich
hämmerte gegen das schwere Tor, ohne Erfolg. Mein Kopf
raste, ebenso mein Herz. Wo zum Teufel konnte Istvan ste-
cken? Wo nur? Vielleicht hatte er meine Nachricht nicht
bekommen oder vielleicht hatte er, gerade wegen meiner
Botschaft, beschlossen, die Verwandlung allein, direkt im
Wald zu überstehen.
Ich wusste es nicht und ich wusste noch viel weniger, wo
ich anfangen sollte, ihn zu suchen. Wo war es am gefährlichs-
ten für ihn? Ich hatte keine Ahnung. Ich musste mit einem
der Jäger sprechen. Ich erinnerte mich sofort daran, dass die
meisten von ihnen an der Bar des Gasthauses anzutreffen
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waren. Deshalb setzte ich mich wieder hinter das Steuer und
brauste im Affenzahn die kurze Strecke bis zur Hauptstraße
hinab. Ich parkte schräg vor dem Gasthaus und stieß die Tür
auf. Natürlich starrten sämtliche Besucher mich sofort an.
Aber das war mir in diesem Moment völlig egal. Ich ging
schnurstracks zum ersten Jäger, der an der Bar herumlun-
gerte, in der üblichen grün-braunen Aufmachung. Er kippte
genüsslich sein Bier hinunter und nahm keinerlei Notiz von
mir, obwohl ich direkt neben ihm stand. Ich hatte Glück,
ich hatte den Vorsitzenden vom Jagdausschuss erwischt.
Einen Mittfünfziger mit dickem Bauch und unordentlichem
Schnurrbart. Sein Atem hatte eine deutliche Bierfahne. Ich
packte ihn fordernd am Arm und sagte ihm:
„Ich muss sofort mit Ihnen sprechen. Es ist sehr wichtig.
Allein, wenn’s geht.“ Ich klang dabei fast bedrohlich.
Er nickte nur wenig irritiert und folgte mir dann in
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