Wolfsfieber
Blick endete in meinen
Augen. Wir starrten uns lange an. Sehr lange. Ich wurde zum
tiefen, blauen Ozean, der in den grünen, tiefen Wald blickt.
Erneut kämpfte ich mit dem Drang, ihn wieder zu küssen.
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Ich versuchte es nicht zu tun, aus Angst, im entscheiden-
den Moment nicht aufhören zu können. Ich wusste nicht,
ob ich schon soweit war, bereit war, alles an ihm, alles zwi-
schen uns zu erforschen. Der Gedanke allein versetzte mich
in schiere Panik.
Er schien die Spannung zwischen uns genauso wenig zu
ertragen. Istvan zog mich an sich. Ich lag auf seiner warmen
Brust, während seine Finger meinen Rücken entlangfuhren.
Er nannte mich, kaum hörbar, „mein Pfirsich“, was mich er-
röten ließ. Es erinnerte mich an seine Beschreibungen von
mir, die er niedergeschrieben hatte.
„Eigentlich gibt es bei uns mehr Marillen. Du solltest
mich Marille nennen“, neckte ich ihn flüsternd, auch um die
Situation etwas zu entschärfen.
„Ja, ich weiß. Aber mir gefällt der Klang des Namens Pfir-
sich besser und er erinnert mich eher an dich“, erklärte er
mir und küsste mich auf die Stirn.
„Hast du überhaupt eine Ahnung, wie peinlich es ist zu
wissen, dass du mich damals so gesehen hast, beim Tanzen,
als ich mich ganz unbeobachtet glaubte?“, stieß ich leise her-
vor und vergrub mein errötetes Gesicht an seiner Brust.
„Es gibt nichts, was dir peinlich sein müsste. Jetzt kann
ich dich endlich fragen, was für eine Art Tanz das war. Das
beschäftigt mich schon seit Monaten“, ließ seine tiefe Stim-
me mich wissen und ich fühlte sein Grinsen über mir.
„Es ist kein Tanz im eigentlichen Sinn. Während meiner Zeit
auf der Uni wohnte ich im Studentenheim mit einem Mädchen
zusammen, das sich die Uni mit Tanzstunden finanzierte. Sie
bequatschte mich so lange, bis ich ein paar Mal mit ihr kam
und Stunden nahm. Es langweilte mich schnell und ich machte
verschiedene asiatische Kurse. Irgendwie habe ich nie etwas
davon ganz zu Ende gebracht, also wurde eine Art Bewegungs-
mischmasch daraus, den ich mit meiner Musikleidenschaft
verbunden habe, nicht weiter aufregend“, gestand ich ihm.
„Also das stimmt ja nun gar nicht. Ich fand deine Bewe-
gungen sehr aufregend“, scherzte er und legte dabei seine
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Hand auf meine Hüfte. Sofort begann mein Herz wieder zu
pochen.
„Aufregung scheint gerade das Thema zu sein“, merkte
er an und amüsierte sich nun prächtig über mein schwaches
Herz. Was auch mir wieder die Schlagfertigkeit zurückgab.
„Ich gebe ja zu, Istvan, mein Fleisch und Puls mögen
schwach sein, mein Wille aber ist stark“, verkündete ich ihm
und löste mich aus seiner Umklammerung. Das schien ihm
gar nicht zu gefallen, denn wie ein Magnet folgte sein Körper
meinem und so spürte ich nicht einmal eine Sekunde lang
die Kälte des Raumes, die er mit seiner Körpertemperatur
von mir fernhielt.
„Du gehst schon?“, fragte er unsicher.
„Eigentlich möchte ich nicht gehen. Ich würde gerne die
ganze Nacht bleiben, wenn …“, deutete ich an und vollende-
te den Gedanken nicht.
„Wenn wir uns im Zaum halten könnten“, vollendete Istvan
meinen Satz und ich wusste, wir teilten dieselben Bedenken.
„Können wir das?“, fragte ich ihn, seine Augen fixierend.
„Ich kann nur für mich sprechen, aber das Privileg deiner
Gegenwart werde ich nicht aufs Spiel setzten. Wir haben ja
alle Zeit der Welt. In meinem Fall ist Zeit eine sehr geduldige
Konstante. Außerdem plane ich, unsere frisch entdeckte Lei-
denschaft füreinander langsam zu genießen. Es ist für mich
schließlich eine ganz neue Welt, auf die ich sehr, sehr lange
verzichten musste. Es hat für mich keinen Reiz, die Dinge
zu überstürzen. Ich glaube, du denkst in diesem Punkt ähn-
lich, oder irre ich mich?“, fragte er und hätte meine Antwort
bereits erahnen können, denn mein Herzschlag blieb im re-
gelmäßigen Takt.
„Nein, ich stimme dir zu. Wir genießen, was wir endlich
haben können.“
Ich bekräftigte meine Zusicherung mit einem leidenschaft-
lichen Kuss auf seinen Mund. So verbrachte ich die erste
Nacht in Istvans Haus und in seinen Armen. Wir sprachen in
dieser Nacht kaum. Wir genossen die körperliche Gegenwart
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des anderen, so, wie wir es auf dem Aussichtsturm schon im
Ansatz getan hatten. Ich schlief so tief und fest, so friedlich
wie noch nie zuvor. Am Morgen wachte ich, noch immer auf
seiner Brust, auf, seinen Unterbauch
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