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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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brannte sich mir ins Gedächt-
    nis. Ich bat ihn danach öfter, es mir vorzutragen, da es, be-
    sonders in Verbindung mit seiner Stimme, eine unglaubliche
    Anziehungskraft besaß. Es hatte keinen Titel, ging aber so:
    Des Nachts ward sie oft gesehen,
    dort bei dem Haine stehen,
    doch ward nicht eine Träne
    aus ihrem Aug geflossen,
    und dennoch schaut ihr Blick
    von Traurigkeit so schwer,
    da weinte der Himmel
    an ihrer statt so sehr,
    dass sieben Nächte fort
    das Wasser ward gegossen,
    dass tote Flüsse gar flossen!
    203

    Es waren sehr traurige Verse, die dennoch eine bittersüße
    Anziehungskraft auf mich ausübten.
    In dieser Nacht träumte ich sogar von ihr. Von einer trau-
    rigen, einsamen Frau, deren Blick sogar die Gezeiten selbst
    beeinflussen konnte. Ich sah sie, einsam und verlassen, auf
    einem Feld stehen, bevor ich erkannte, dass es eigentlich
    ein Wald war. Sie schien mir vollkommen verzweifelt. Ihr
    Blick ergriff mich im Innersten. Er brach einem das Herz.
    Erst nachdem ich mich, im Traum, von ihr entfernt hatte,
    erkannte ich, dass diese verzweifelte Frau ich war. Das er-
    schreckte mich so sehr, dass ich verstört aufwachte, mitten
    in der Nacht. Ich atmete unregelmäßig und mein Herz raste.
    Das weckte auch Istvan. Er war sofort sehr besorgt. Ich ver-
    sicherte ihm, dass ich nur einen Albtraum gehabt hätte. Er
    nahm mich ganz fest in die Arme und ließ mich nicht mehr
    los, weit bis in den nächsten Morgen hinein.
    Ich konnte mir nicht erklären, was diesen Albtraum aus-
    gelöst hatte. Schließlich war ich so zufrieden und glücklich
    wie noch nie zuvor. Es ergab keinen Sinn. Ich ermahnte mich
    selbst, nicht weiter daran zu denken.
    Zwei Tage später war ich gerade dabei, Essen vom Italiener
    abzuholen, das ich zu Istvan mitnehmen wollte, um mich
    für das Abendessen zu bedanken, da läutete mein Handy. Es
    war Carla. Sie rief an, um sich nach mir zu erkundigen. Ich
    versuchte, nicht ganz so überschwänglich zu klingen, wie mir
    zumute war. Carla bemerkte dennoch, dass ich mehr als nur
    guter Dinge war, und verlangte nach einer Erklärung.
    „Es läuft einfach alles gut. Ich bin einfach gut gelaunt.
    Wie geht es euch?“
    „Danke, uns geht es auch super. Aber du klingst wirk-
    lich ganz anders. So hast du noch nie geklungen. Was ist der
    Grund?“, bohrte sie weiter.
    Ich konnte mit ihr natürlich nicht über die letzten Tage
    sprechen, obwohl ich es sehr gerne getan hätte. Wie gerne
    hätte ich Carla gesagt, dass ich bis über beide Ohren verliebt
    204

    war, dass ich mich ganz anders fühlte als je zuvor. Doch ich
    schwieg, für ihn, für uns.
    „Vielleicht liegt es ja am Advent. Du weißt, dass ich diese
    Zeit liebe. Den Schnee, das Naschzeug. Einfach alles.“
    „Na dann will ich dir das mal glauben, Joe. Aber ich den-
    ke immer noch, dass du mir etwas nicht erzählen willst.“
    Ich verabschiedete mich von ihr und atmete noch mal
    kräftig durch, bevor ich das Handy wieder zuklappte.
    Ich schnappte mir die Lasagne und das Tiramisu, die der
    Kellner auf die Bar gestellt hatte. Ich bezahlte und gab or-
    dentlich Trinkgeld, um endlich zu Istvan zu kommen, der
    vermutlich schon auf mich wartete. Es war bereits halb fünf
    und die Bibliothek hatte seit vier geschlossen.
    Ich platzierte die Plastikbehälter auf dem Beifahrersitz
    und fuhr vorsichtig von Rohnitz nach St. Hodas. Eigentlich
    kam ich nie um diese Uhrzeit vorbei, da es normalerweise
    noch zu hell war. Doch jetzt, mitten im Winter, war es schon
    um fünf dunkel genug, um nicht gesehen zu werden.
    Die Hintertür war bereits offen, eigentlich nur angelehnt.
    Ich dachte, er hätte sie meinetwegen offen gelassen und
    ging hinein. Ich stellte das Essen in der Küche ab und hörte
    leise Stimmen im Wohnzimmer. Zuerst dachte ich, es käme
    vielleicht vom Fernseher, der eigentlich nur dann lief, wenn
    Istvan sich einen Film ansah. Doch schnell machte ich sei-
    ne Stimme aus, die mit einer anderen, eindeutig weiblichen,
    Stimme sprach. Ich zog meine Jacke aus, legte sie über einen
    Stuhl und ging ins Wohnzimmer.
    Istvan saß im Ledersessel und drehte sich um, als er mich
    kommen hörte. Seine geheimnisvolle Besucherin, die vor
    ihm stand, tat es ihm gleich.
    Vor mir erblickte ich eine der schönsten Frauen, die ich je
    gesehen hatte. Eine groß gewachsene, schlanke Frau in unse-
    rem Alter mit dunkler, gebräunter Haut. Sie hatte hüftlanges,
    glattes Haar, das kohlenschwarz glänzte. Die Schönheit ihres
    Gesichtes war noch

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