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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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Skizzenbücher und Hefte, in denen
    er seine Gedichtentwürfe und Gedankenfetzen notierte.
    Es gab sehr viele davon. Die rötlichen Hefte waren für die
    Zeichnungen gedacht. Es gab Kohlezeichnungen und Blei-
    stiftskizzen von den Menschen und Orten, die er auf sei-
    nen Reisen gesehen hatte. Bilder von Indianern, rus sischen
    Landstreichern und schönen Frauen, nach denen ich ihn
    aber nicht ausfragte, weil ich seine Antwort nicht hören
    wollte. Was die poetischen, blauen Notizbücher betraf, hatte
    ich deutlich mehr Skrupel. Immerhin las ich schon ständig
    in seinem Tagebuch, da wollte ich nicht auch noch in sei-
    ne literarische Gedankenwelt eindringen. Istvan sagte mir,
    dass er sein Tagebuch deshalb so gut versteckt halte, weil es
    eigentlich gegen die Regeln verstoße, würde es Regeln ge-
    ben. Die verschiedenen Wolfsgruppen waren sich nämlich
    alle einig darin, ihre Existenz vor allen geheim zu halten, und
    das machte ein Buch, das alle Geheimnisse verriet, zu einem
    enormen Risiko.
    „Wieso führst du es dennoch, wenn es dich in Gefahr
    bringt?“, wollte ich wissen.
    „Ich habe es mit einer bestimmten Absicht geschrieben.
    Anfangs, um nicht verrückt zu werden. Um jemanden oder et-
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    was zu haben, dem ich mich anvertrauen konnte. Später ging
    es mehr darum, anderen, die wie ich zu diesem Leben ge-
    zwungen wurden, die gebissen wurden, einen Leitfaden mit-
    zugeben. Ihnen damit zu helfen.“ Ich fand seine Absicht sehr
    nobel und bestärkte ihn darin, das Buch weiterzuführen.
    An einem anderen Abend kochte er für mich. Eigentlich
    hätte ich es gern für ihn getan, aber der Plan war ja schließ-
    lich, etwas Essbares auf den Tisch zu bekommen, also muss-
    te das Istvan übernehmen. Alles, was ich fabrizierte, endete
    als verbrannter Klumpen.
    Istvan dagegen servierte herrlich duftendes Risotto mit
    Steinpilzen und Hühnchen, bei Kerzenlicht. Dazu reichte er
    mir einen herrlich fruchtigen Riesling, während er bei sei-
    nem üblichen Wasser blieb. Das Ganze schmeckte noch bes-
    ser, als es aussah. Es gab anscheinend nicht viel, was Istvan
    nicht konnte. In einer Sache waren wir allerdings beide ge-
    scheitert. Wir konnten kein einziges Instrument spielen, hat-
    ten es aber beide versucht. In meinem Fall war es besonders
    peinlich, da ich als Musikjournalistin über etwas schrieb und
    etwas kritisierte, was mir selbst nicht gelang.
    Als Nachtisch präsentierte er mein Lieblingsdessert.
    Schokoladeneclairs. Sie waren einfach köstlich. Istvan hat-
    te einen sehr ordentlichen Appetit und aß von allem zwei
    Portionen. Das wunderte mich etwas, da er sehr gut in Form
    war, eher drahtig und schlank. Er erklärte mir, dass es mit
    dem erhöhten Kalorienverbrauch vor einer anstehenden
    Vollmondnacht zu tun hat.
    Nach dem Essen zogen wir uns zurück in sein Schlaf-
    zimmer und hörten ein paar Platten, die er schon vorher aus-
    gesucht hatte. Vorwiegend handelte es sich um Jazz-Platten.
    Ich trug, wenig passend, ein Band-T-Shirt von „The Sub-
    ways“, nach dem er mich fragte. Ich erzählte ihm, dass es
    sich dabei um eine meiner liebsten Rockbands aus England
    handele, und merkte an, dass sie ihm wohl weniger gefallen
    würden. „Allein der Bass, den sie benutzen, würde dich zum
    Durchdrehen bringen“, neckte ich ihn.
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    „Aber da fällt mir ein, einer ihrer besten Songs ist ‚Straw-
    berry Blonde‘. Ein witziger Zufall“, scherzte ich und küsste
    ihn leicht im Vorbeigehen.
    Später an diesem Abend konnten wir beide nicht ein-
    schlafen und er schlug vor, etwas vorzulesen. Er ließ mir die
    Wahl zwischen den Gedichten von John Donne und Walt
    Wittman, den wir beide sehr mochten. Ich bat ihn, mir doch
    lieber aus seinen eigenen Dichtungen vorzulesen. Er weiger-
    te sich anfangs, aber ich hatte gewisse Mittel, ihn doch noch
    zu überzeugen. Mit kleinen Küssen auf seinen Hals und
    seine Wangen gelang es mir, Istvan zu überreden. Er nahm
    sich das erste blaue Heft aus der Schublade und blätterte es
    durch. Danach legte er sich wieder zu mir aufs Bett.
    Zuerst hörte ich seinen Dichtungen über Eindrücke, die
    er beschrieb, nur zu, um seine schöne, leicht raue Stimme
    zu hören. Ich lehnte dabei gegen die Wand des Bettes und er
    saß vor mir. Nach einer Weile rückte er an meine Seite und
    ich lehnte mich, wie es unsere Gewohnheit war, an seine
    Brust, als würde ich magnetisch davon angezogen werden.
    Eines der letzten Gedichte, die er vor dem Einschlafen
    vorlas, gefiel mir besonders. Es

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