Wolfsflüstern (German Edition)
– war das wirklich erst gestern gewesen? –, ertappte sie sich ungewohnt häufig dabei.
Lag es daran, wie er sie ansah, so als wüsste sie Dinge, die auch er wissen wollte und die zu erfahren er frohen Herzens Stunden, Tage, ein ganzes Leben investieren würde?
Vielleicht war es auch seine Art, wie er sich mit ihr unterhielt und ihr dabei das Gefühl gab, als wäre alles, was sie sagte, hochinteressant. Er hatte das College besucht, arbeitete als Lehrer. Sie selbst hatte es nur mit Müh und Not durch die Highschool geschafft.
Nicht, weil ihr der Unterricht zu viel abverlangt hätte. Nein, was ihr zu viel abverlangt hatte, war die körperliche Arbeit auf der Ranch gewesen, in Kombination mit den geistigen Anforderungen der Schule und der emotionalen Herausforderung, die der Umgang mit den Gästen bedeutete. Etwas hatte letztendlich auf der Strecke bleiben müssen, und das waren ihre Noten gewesen. Obwohl sie ihren Abschluss bestanden hatte, war es ihr trotzdem immer ein bisschen peinlich gewesen, wie schlecht ihre Zensuren ausgefallen waren.
Ihre Eltern hätten enttäuscht reagiert. Andererseits, wären ihre Eltern noch am Leben gewesen, um Enttäuschung zu empfinden, hätte sich das Problem von vorneherein gar nicht gestellt.
Jemand räusperte sich, und Gina realisierte erst jetzt, dass sie Teo unverwandt in die Augen – verdunkelt von der Nacht und gleichzeitig erhellt durch das Feuer, das von seinen Brillengläsern reflektiert wurde, sodass sie in einem warmen Dunkelorange schimmerten – geschaut hatte … und er in ihre, während sich die Welt um sie herum ohne sie weitergedreht hatte.
Gina verstand nicht, was mit ihr los war. Sie geriet niemals in Verzückung wegen eines Mannes. Was wohl daran lag, dass kein Mann jemals wegen ihr in Verzückung geriet.
»Wir sollten schlafen gehen.« Gina drehte sich zu den anderen um. »Die Sonne wird in eure Zelte scheinen, noch ehe ihr wisst, wie euch geschieht.«
Niemand erhob Einwände. Sie mussten müde genug sein, um im Stehen einzuschlafen. Der erste Tag in der Wildnis war immer anstrengend, aber es war unbedingt nötig, es bis zum See zu schaffen, da es zwischen der Ranch und hier kein Wasser für die Pferde gab.
Die Gruppe begann, sich zu zerstreuen, doch Mel und Melda ließen es sich nicht nehmen, Gina und Teo zuvor noch mit einem identischen Schmunzeln zu bedenken. In Verbindung mit dem vernichtenden Blick, den sie von Ashleigh, wahlweise Amberleigh, kassierten, gab es für Gina nur einen Schluss, nämlich den, dass jeder in der Gruppe – vielleicht mit Ausnahme von Derek, der noch immer Essen in sich reinschaufelte – annahm, dass sie sie nur ins Bett schickte, um über Teo herfallen zu können.
Als alle in der Dunkelheit verschwanden, bemerkte sie unter Dereks Arm etwas Glänzendes, in dem sich der Schein des Lagerfeuers reflektierte.
»He, Junge!« Gina setzte ihm nach. »Du kannst das nicht mitnehmen.« Sie streckte die Hand nach dem letzten Folienpäckchen aus.
»Aber ich bekomme nachts oft Hunger.«
»Genau wie die Bären.« Sie wackelte mit dem Finger. »Gib schon her.«
»Bären!«, kreischte eine der As. »Es gibt Bären hier draußen?«
Gina steckte sich den Finger ins Ohr und ließ ihn kreisen. »Jetzt nicht mehr.«
Teo schnaubte belustigt, auch wenn Bären kein Grund zum Lachen waren.
»Habt ihr alle die Sicherheitshinweise gelesen, die letzte Nacht auf euren Betten lagen?«, fragte Gina.
Üblicherweise ging sie sie am Lagerfeuer durch, nachdem sie auf die harte Tour gelernt hatte, dass niemand solche Anweisungen las, aber heute Abend war sie zu sehr abgelenkt gewesen von dem Lied, King Kong – und Teo.
Gina rief alle zurück. Sie gruppierten sich im Halbkreis um das schwächer werdende Feuer. »Schwarzbären sind in dieser Gegend heimisch. Aber meistens ergreifen sie die Flucht, wenn sie uns hören.«
»Und sie werden uns laut und deutlich hören.« Derek guckte die As finster an. Offenbar hätte er gern einen Bären gesehen. Wer konnte wissen, was sein Vater ihm versprochen hatte, um ihn dazu zu bewegen mitzukommen?
»Ihr Geruchssinn ist noch besser als ihr Gehör«, fuhr Gina fort, »und falls ihr Essen herumliegen lasst, das sie riechen können, kommen sie, um danach zu suchen. Das solltet ihr unbedingt vermeiden.«
»Was sollen wir mit dem Essen anstellen?«, erkundigte Melda sich.
»Wickelt es ein, anschließend …«, Gina zeigte auf einen nahe stehenden Baum, »… hängt es auf.«
Um in den Baum zu spähen, lehnte
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