Wolfsflüstern (German Edition)
nicht.
Das Ganze war eine furchtbar schlechte Idee gewesen. Und sie konnte niemandem als sich selbst die Schuld daran geben. Nie zuvor hatte sie ihre Gedanken so sehr abschweifen lassen wie heute. Hatte ihr Unterbewusstsein ihr Hirn gekidnappt, um sicherzustellen, dass sie die Grabstätte nicht wie geplant erreichten und sie noch einen letzten Tag Frieden bekam?
Giiiii-naaaa!
Sie zuckte so heftig zusammen, dass ihre Hände hart an den Zügeln zogen; Lady Belle warf den Kopf zurück und wieherte leise.
»Stimmt was nicht?«, fragte Teo.
»Hast du nichts gehört?«
Giiii-naaaa!
»Den Wind?«
War es nicht immer der Wind, der ihren Namen rief? Wenn es nicht gerade die Wölfe waren, die gar nicht existierten.
Die Nacht war kühl geworden; eine Brise strich über ihr Gesicht, fuhr durch ihr Haar und brachte ihr in Erinnerung …
Gott, wie sehr sie sich wünschte, nicht hier zu sein.
Wie als Antwort auf diesen Gedanken blieb Lady Belle so abrupt stehen, dass Gina zur Seite rutschte und sich am Sattelknauf festhalten musste, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.
Spike, der ihnen ein paar Meter voraus war, stoppte ebenfalls. Dann schnaubte er, scharrte mit den Hufen … und bäumte sich auf.
Gina musste Teo Achtung dafür zollen, dass er sich im Sattel hielt. Wenigstens bis die Hufe wieder auf den Boden trafen und Spike zu buckeln begann. Teo wurde seitlich abgeworfen. Gina blieb noch eine Sekunde, um zu registrieren, dass sich sein Fuß nicht im Steigbügel verfangen hatte – andernfalls wäre Teo von dem türmenden Wallach kopfüber durch die steinübersäte Ebene geschleift worden –, bevor auch Lady Belle buckelte.
Gina hielt sich länger im Sattel als Teo, aber am Ende landete sie wenige Meter von ihm entfernt auf der Erde. Wenn ein Pferd einen abwerfen wollte, wurde man irgendwann abgeworfen.
Sie blieb reglos liegen, dabei lauschte sie dem Donnern von Spikes und Lady Belles Hufen, als sie in die Richtung Reißaus nahmen, aus der sie gekommen waren. Sie unterzog ihren Körper einer raschen Überprüfung. Alles beweglich. Nichts gebrochen.
»Lebst du noch?«, fragte sie.
»Nein«, ächzte Teo, setzte sich aber trotzdem auf. »Was zur Hölle war das?«
Gina wollte sich nicht bewegen. Weil sie wusste, was sie sehen würde, sobald sie es täte. Ihrer Erfahrung nach reagierten die Pferde der Nahua Springs Ranch nur auf einen einzigen Ort mit solch einem Verhalten.
Sie drehte den Kopf, als sich im selben Moment die Wolken teilten und der Mond auf sie herabschien. »Erinnerst du dich, wie ich sagte, dass wir unser Ziel nicht vor morgen erreichen würden?«
»Ja und?« Teo rieb sich den Hinterkopf, dann musterte er seine Hand und seufzte erleichtert, als er kein Blut entdeckte.
Gina stand auf, dann nickte sie mit dem Kinn zu dem Horizont hinter ihm, wo ein alter, knorriger, halbtoter Baum stand.
»Ich habe mich geirrt.«
12
Matt schaute über seine Schulter. Er konnte nur mit Mühe die spitzen Äste eines Baums erkennen, die sich der tiefschwarzen Nacht entgegenreckten. Im Mondlicht schimmerten sie silbern – und nicht rot, trotzdem …
»Das ist er«, bestätigte er.
Gina stand auf, dann verzog sie den Mund, als ein plötzlicher Schmerz sie durchfuhr.
»Alles in Ordnung?« Matt rappelte sich auf die Knie und streckte die Hand nach ihr aus.
Sie wich zurück. »Ja.«
Matt ließ den Arm sinken und stand auf. Würde sie ihm je wieder erlauben, sie zu berühren?
Vermutlich nicht .
»Ich glaube, sie sind stehen geblieben.«
Matt folgte ihrem Blick und erkannte in einiger Entfernung vage pferdeartige Schemen. »Ich hole sie.«
»Sie werden nicht mitkommen«, erklärte sie. »Pferde meiden diesen Ort.«
Matt, der sich schon in Bewegung gesetzt hatte, drehte sich zu ihr um. »Wie kommt das?«
Gina zuckte mit den Achseln. »Bisher ist jedes Pferd, das sich dieser Stelle auch nur auf hundert Meter genähert hat, durchgegangen.«
Obwohl er sich fühlte wie ein Zweijähriger, der gerade seine neue Lieblingsfrage gefunden hat, konnte er nicht anders, als zu entgegnen: »Wie kommt das?«
»Kein Pferd hat das je begründet.«
»Haha.« Matt betrachtete die fernen Silhouetten von Spike und Lady Belle. »Was sollen wir tun?«
»Darüber schlafen.« Sie wischte sich die Handflächen an der Hose ab und stapfte los.
Gina konnte nicht fassen, dass sie sich dem Areal so weit genähert hatten, ohne dass es ihr bewusst gewesen war. Sicher, es war dunkel, aber hätte sie nicht trotzdem eine Veränderung spüren
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