Wolfsflüstern (German Edition)
beschäftigt, sich ein testosterongeschwängertes Blickduell mit Teo zu liefern.
»Wo?«, fragte Teo.
»Ein paar hundert Meter entfernt.«
»Wie?«
Gina konnte nicht sagen, ob Teo sich danach erkundigte, wie Ashleigh gestorben war oder wie sie sie gefunden hatten. Es machte keinen Unterschied. Beide Fragen standen auch auf ihrer Liste.
»Sie …«, begann Jase, als über ihnen ein Schrei ausgestoßen wurde, gefolgt von mehreren Rufen.
Die anderen Gäste! Gina hatte sie komplett vergessen gehabt.
Alle drei rannten zum Ausstieg. Jase, der das Seil als Erster erreichte, nahm es in seine großen harten Hände; dann hielt er inne, musterte Gina und hielt es Teo hin. »Du als Erster.«
»Leck mich am Arsch«, entgegnete Teo freundlich.
»Herrgott.« Gina grapschte nach dem Seil. »Ich mache den Anfang.«
Jase hielt es außerhalb ihrer Reichweite. »Du wirst dort nicht allein raufklettern. Wer weiß, was da oben abgeht.«
Die Schreie und Rufe hielten weiter an, untermalt von lautem Getrampel.
»Irgendjemand sollte jetzt dort hochsteigen«, fauchte sie.
Jase bedachte Teo mit einem finsteren Blick, so als hätte er ihnen das eingebrockt, was immer das war. »Meinetwegen.« Jase machte sich an den Aufstieg. »Es ist ja nicht so, als wüsste er, wie man mit einer Katastrophe umgeht.«
Ginas und Teos Blicke trafen sich, während das Seil wie eine Kobra zwischen ihnen tanzte. Sie fand, dass er mit fast allem ziemlich gut umgehen konnte.
»Beeilt euch!«, rief Jase, als er sich über den Kraterrand stemmte.
»Los«, ermutigte Teo sie.
Sich auf die Lippe beißend, schätzte Gina den Abstand vom Boden bis zur Öffnung ab. Sie kannte Seilklettern aus dem Turnunterricht, hatte es aber nie weiter als drei Meter in die Höhe geschafft.
»Du zuerst.« Sie hielt ihm das Seil entgegen, und als er Einwände erheben wollte, sagte sie: »Ich könnte Hilfe benötigen.«
Teo blickte sich in der Kaverne um. »Hältst du es allein hier unten aus?«
»Ich wäre lieber schon oben.« Dann ertönte ein weiteres Kreischen, und sie fügte hinzu: »Oder auch nicht. Aber wir müssen hier raus, darum …« Sie reckte den Daumen himmelwärts.
Teo beugte sich vor und küsste sie sanft. Dass er es tat, war gleichzeitig unerwartet und irgendwie genau richtig.
Fast hätte sie ihm nun doch erzählt, was sie gehört hatte, als sie hier unten verschüttet gewesen war, und ihm gestanden, dass sie es seither unentwegt hörte und außerdem das flaue Gefühl hatte, der Zauberer, an den Teo glaubte, könne nicht nur real sein, sondern außerdem noch immer mehr als lebendig.
Dann schnappte er sich das Seil und kletterte mit mühelosen koordinierten Bewegungen seiner Hände, Beine und Füße nach oben. Gina ließ ihn nicht aus den Augen, während sie zu ignorieren versuchte, wie viel kälter sich die Luft um sie herum plötzlich anfühlte, seit sie allein hier unten war.
»Okay.« Teo spähte zu ihr runter. Er ruckelte an dem Seil. »Binde das Ende um deine Taille. Lauf mit den Füßen an der Wand hoch. Ich ziehe dich dabei nach oben. Es ist ein Kinderspiel.«
Das war es nicht, aber dank Teo, der sie aus dem Loch hievte, sobald sie nahe genug war, dass er sie erreichen konnte, schaffte sie es. Als er die Arme um sie schloss, wurde ihr bewusst, dass ihr kein bisschen bange gewesen war, obwohl sie sich vor dem gefürchtet hatte, was dort unten lauern, was sie dort sehen oder finden könnte. Denn von dem Moment ihres Sturzes an hatte sie gewusst, dass er sie dort rausholen würde.
Teo ließ sie los und starrte stirnrunzelnd in den Krater.
»Was ist?« Gina wirbelte herum, besorgt, wieder schwarzen Rauch aus dem Loch schießen zu sehen.
Er umfasste ihren Ellbogen und zog sie vom Rand weg. »Wir haben die Laterne unten vergessen.«
Das Erdloch schien zu glühen, und goldene Irrlichter tänzelten wie Flammen um das untere Ende des Ausstiegs.
»Was vermutlich sogar gut war«, fuhr Teo fort. »Nicht, dass noch jemand hineinfällt, während sie hier herumrennen wie Hühner, denen man den Kopf abgehackt hat.«
»Was habt ihr heute nur alle mit Hühnern?«, grummelte Gina.
Der Mond schien hell, und das Gewitter, das dieses ganze Chaos gestiftet hatte, war nicht einmal mehr in der Ferne zu hören. Die Szenerie, die sich vor ihnen ausbreitete, schimmerte im Mondlicht in silbrigen Tönen. Alles, was sich in dieser Landschaft bewegte, wirkte schwarz hineingeätzt.
»Was ist passiert?«, rief sie.
Niemand machte sich die Mühe zu antworten.
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