Wolfsglut - Handeland, L: Wolfsglut
Jessie: „Auftrag ausgeführt.“
Ich hatte Nic sieben Jahre lang nicht gesehen, deshalb sollte ich mich nach ein paar Tagen in seiner Gesellschaft nicht wie betäubt fühlen, weil ich ihn wieder verloren hatte.
Sollte ich nicht, tat ich aber trotzdem.
„Wo ist Mandenauer?“, fragte ich.
Jessie schien verwirrt zu sein. „Ich dachte, er wäre hier.“
„Er sagte, er wollte Ihnen helfen.“
„Ich habe ihn nicht gesehen.“
Ein Prickeln böser Vorahnung breitete sich in meinem Nacken aus. „Das ist nicht gut.“
„Das hat gar nichts zu bedeuten.“
„Wohin könnte er gefahren sein?“
„Wer kann das bei ihm schon wissen? Entweder taucht er wieder auf oder er ruft an. Das tut er immer.“
Meine Unruhe verringerte sich, auch wenn sie nicht ganz verschwinden würde, solange Mandenauer nicht mit meinen Forschungsergebnissen in der Hand durch die Tür kam. Irgendjemand oder irgendetwas war immer hinter ihm her. Dass er bis heute überlebt hatte, war auf ein Wunder oder außerordentliches Glück zurückzuführen. Aber früher oder später würde ihn dieses Glück verlassen.
„Zeigen Sie ihr das Totem“, wies Will mich an.
Jessie wurde ganz still. „Noch eins?“
Ich kramte das Plastikstück aus meiner Tasche und gab es ihr. Sie hielt das Ding vorsichtig zwischen den Fingern, während ihr Blick von dem Wolf zu mir und wieder zurück wanderte.
„Ihres?“
„Nicht wirklich.“
Will informierte sie über alles, was wir wussten und was geschehen war.
Jessie schloss die Hand um das Amulett. „Ich fühle gar nichts.“
„Sollten Sie das?“
„Das letzte wa r … gruselig. Das Ding hat sich bewegt, ist irgendwie hin- und hergeflutscht.“
Jessie sprach von dem schwarzen Totem, das ich in Montana untersucht hatte und das eigentlich zu Asche verbrannt sein sollte, es vermutlich aber nicht war. Das Amulett hatte die Markierungen des Manitus Matchi-auwishuk getragen.
Wörtlich betrachtet bedeutet Manitu Mysterium oder gottgleiche Essenz . In der Mythologie der Ojibwa wimmelt es nur so von solchen Kreaturen. Alle sind hilfreich, bis auf zwe i – die Weendigos oder Großen Kannibalen und die Matchi-auwishuk , ebenfalls bekannt als die Bösen Geister.
Einer von Mengeles Werwölfen hatte das Matchi-auwishuk -Totem benutzt, um zum Wolfsgott zu werden, in der Absicht, anschließend über die Welt zu herrschen.
Was ist bloß so verlockend an der Weltherrschaft? Jeder Schwachkopf scheint sie zu begehren.
„Bei mir bewegt sich dieses hier“, murmelte ich und nahm das Amulett aus Jessies Hand. „Außerdem brummt und schnurrt es.“
„Vielleicht sollte ich es in Verwahrung nehmen“, schlug Will vor.
Ich schob den Wolf zurück in meine Tasche. „Das Totem bleibt bei mir.“
Jessie und Will wechselten einen Blick.
„Was ist?“, fragte ich.
„Der Talisman macht Sie stärker, fähiger“, erklärte Jessie.
„Und das ist eine schlechte Sache?“
„Ich bin mir da nicht ganz sicher“, gab Will zu.
„Wie kann stärker und fähiger schlecht sein?“
„Soll ich Ihnen eine Liste schreiben?“, spottete Jessie.
„Wenn mir bei Billys Attacke nicht so eine schnelle Verwandlung gelungen wäre, hätten Nic und ich das Ganze nicht überlebt.“
Die beiden musterten mich einen Moment lang, dann zuckte Jessie mit den Achseln. „Lass sie es behalten. Wenn ich irgendwen erschießen muss, dann lieber sie als dich.“
Sie zwinkerte mir zu. Ich hatte keine Ahnung, was ich daraus schließen sollte.
Erschöpfung machte sich in mir breit. Ich musste etwas Schlaf bekommen, auch wenn es sechs Uhr morgens war.
„Welches Zimmer habe ich?“
Jessie blinzelte. „Sie wollen hier wohnen?“
„Natürlich wird sie hier wohnen. Wo denn sonst?“ Will gab mir einen Klaps auf die Schulter, dann schubste er mich sachte auf den hinteren Teil des Hauses zu. „Dritte Tür links.“
„Danke.“
„Jess, gib ihr bitte irgendwas, worin sie schlafen kann, okay?“
Ich drehte mich noch rechtzeitig zu ihr um, sodass mir ihr finsterer Blick nicht entging. Als sie es bemerkte, zog sie die Nase kraus. „Kommen Sie.“
Sie führte mich den Gang hinunter, bevor sie vor der ersten Tür zur Rechten stehen blieb. Dahinter befanden sich ein ungemachtes Doppelbett und zwei offen stehende Koffer. Jessie begann, einen Haufen von Klamotten zu durchwühlen.
„Hat Ni c … “
Ich brach ab, entsetzt darüber, dass ich kurz davor gewesen war, sie zu fragen, ob er irgendetwas über mich gesagt hatte. Wenn ich nicht aufpasste,
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