Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Zeitgefühl vollkommen verloren, aber er vermutete, daß seit ihrer Flucht aus dem Haus nicht mehr als eine halbe Stunde vergangen war. Zweifellos suchten Barkows Soldaten fieberhaft nach ihnen, und die Bäume waren ein erbärmliches Versteck. Ihr einziger wirklicher Verbündeter war die Dunkelheit, die er bisher so gehaßt hatte. Die Nacht würde noch viele Stunden dauern, zumal zu dieser Jahreszeit, aber irgendwann
würde
sie enden, und dann...
    Nein, er wollte nicht daran denken. Jetzt nicht. Sie lebten, das allein zählte. Manchmal half es, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Sicher nicht für lange, aber er nahm sich vor, sich selbst noch eine halbe Stunde zu schenken, bis er soweit war, sich einzugestehen, daß sie so gut wie tot waren.
    Becci hatte nicht auf die Frage geantwortet, so daß er sie bei den Schultern ergriff und mit sanfter Gewalt so weit von sich fortschob, um ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen waren verquollen und blutunterlaufen, und das Fieber war mit Macht zurückgekehrt. Aber sie reagierte auf seine Berührung und beantwortete - mit fast einminütiger Verspätung, als hätten die Worte so lange gebraucht, um an ihr Bewußtsein zu dringen - seine Frage.
    »Ein bißchen. Nicht sehr. Aber es geht.« Sie rückte von sich aus noch ein kleines Stück weiter von ihm fort und fuhr sich mit dem Handrücken durch das Gesicht, wie um die längst eingetrockneten Tränen fortzuwischen. »Wenn du jemals irgendwem verrätst, daß du mich weinen gesehen hast, bringe ich dich um.« Dazu würde sie kaum noch Gelegenheit haben, dachte Stefan. Aber er zwang sich, ihr Lächeln zu erwidern und sagte:
    »Und dasselbe gilt für dich, wenn du irgendwem erzählst, daß ich auf diesen Wissler hereingefallen bin.«
    Sie lachten beide, aber es war ganz anders als in all den Büchern und Geschichten, in denen sie über Situationen wie diese gelesen hatten. Es war kein befreiendes Lachen. Es wirkte nicht erleichternd, und es löste den Druck nicht, sondern hinterließ im Gegenteil einen schalen Nachgeschmack.
    »Was glaubst du, wer er wirklich ist?« fragte Rebecca nach einer Weile.
    »Wissler?« Stefan zuckte mit den Schultern. Keine Ahnung. Ich kann dir nur sagen, wer er nicht ist. Er ist kein harmloser Fremdenführer, und er ist auch kein Österreicher, sondern Amerikaner.«
    »Woher weißt du das?«
    Stefan lachte. Diesmal klang es echt. »Erinnerst du dich, was er uns über Barkow gesagt hat?
Verrückt wie eine Scheißhausratte?
Das sagt kein Österreicher. Auch kein Deutscher. Das ist ein typisch amerikanischer Ausspruch. Glaub mir. Ich kenne ihn aus mindestens zwanzig Stephen-King-Romanen.«
    Rebecca blieb ernst. »Also ist er von der CIA«, sagte sie.
    »Das ist nicht gesagt«, antwortete Stefan. »Er kann von Gott-weiß-wem geschickt worden sein. Den Russen. Der Mafia. Sonstwem. Vielleicht ist er nichts als ein mieser kleiner Auftragskiller, der zwei Dummköpfe gesucht hat, die ihn zu Barkow bringen.«
    »Ziemlich weit daneben«, sagte Wissler hinter ihnen. »Aber in einem Punkt haben Sie recht: Ohne Sie wäre ich niemals an Barkow herangekommen. Ihr beide redet zu laut. Seid vorsichtig.«
    Stefan starrte ihn haßerfüllt an, aber Wissler lachte nur. »Haben Sie es wirklich an diesem einen Ausspruch gemerkt? Erstaunlich. Man kann niemals vorsichtig genug sein.« »Sind Sie es?« fragte Rebecca.
    »Was? Amerikaner?« Wissler schüttelte den Kopf, lachte erneut und fügte in breitem österreichischem Dialekt hinzu: »Jo Gnägst, ich bin a woschächta Wiena Bua.«
    »Und ich bin die Kaiserin von Siam«, antwortete Rebecca verächtlich. »]e weniger Sie wissen, desto besser für Sie«, sagte er ernst.
    Rebecca schnaubte. »Hören Sie auf. Warum lügen Sie noch? Sie werden uns doch sowieso umbringen. Und wenn nicht Sie, dann die Russen.«
    »Jetzt enttäuschen Sie mich«, antwortete Wissler. »Ihren Tod hätte ich leichter haben können.«
    »So?«
    »Ich hätte Sie einfach im Haus zurücklassen können«, sagte Wissler ernsthaft. »Dann wären Sie jetzt entweder tot, oder Sie würden sich wünschen, Sie wären es.«
    Rebecca antwortete nicht darauf, aber Stefan sah, wie sie ganz leicht zusammenfuhr, und der Anblick versetzte ihn in jähe Wut. Er sprang mit einem Ruck auf. »Macht es Ihnen eigentlich Spaß, meine Frau zu erschrecken, Sie Mistkerl?« fragte er. Er spürte, wie irgend etwas mit ihm geschah, gegen das er machtlos war, und wogegen er auch gar nichts tun wollte. Sein Zorn explodierte zu schierer

Weitere Kostenlose Bücher