Wolfsherz
fröhlich:
»Hervorragend. Sie scheinen nicht nur ein braver Patient zu sein, sondern auch über ausgezeichnetes Heilfleisch zu verfügen.«
»Ja«, antwortete Stefan gepreßt. Er ließ absichtlich offen, welchen Teil von Krohns Worten er damit bestätigte.
Der Arzt sah hoch. »Haben Sie Schmerzen?«
»Jetzt?« Stefan nickte. »Ja.«
»Das meine ich nicht, überhaupt?«
»Es geht«, erwiderte Stefan wahrheitsgemäß. »Es tut mehr weh, als es sollte. Ich meine... letztendlich ist es nur ein Kratzer.«
»Aus Ihrer Wade fehlt genug Fleisch, um ein gutes Barbecue daraus zu machen«, erwiderte Krohn kopfschüttelnd. »Das würde ich nicht als Kratzer bezeichnen. Außerdem ist das keine normale Wunde. Bißwunden sind meistens schmerzhafter als andere Verletzungen. Aber, wie gesagt, Sie scheinen ganz ausgezeichnet zu heilen. In drei oder vier Wochen merken Sie nichts mehr davon.«
Stefan sagte nichts. Der Schmerz war nicht das Schlimme. Die Wunden würden vernarben, egal ob in drei Wochen oder in drei Monaten, aber er fragte sich, ob er die Erinnerungen, die mit diesen Narben verbunden waren, jemals ganz würde vergessen können. Im Moment bereitete es ihm keine Mühe, damit umzugehen. Sie waren noch zu frisch. Er mußte nur die Augen schließen, und er war wieder in jener Nacht auf dem Eis, hörte das Heulen der Wölfe und das Peitschen der Schüsse und Rebeccas verzweifelte Schreie. Es war nicht schlimm, kaum mehr als Bilder aus einem Film, den er gesehen hatte; ein überstandenes Abenteuer, das seinen schmerzhaften Preis forderte, mehr aber auch nicht. Aber er wußte genau wie solche Dinge liefen: Der kribbelnde Thrill bewältigter Gefahr würde vergehen, ebenso wie das Hochgefühl, etwas eigentlich Aussichtsloses geschafft zu haben. Aber möglicherweise würde die Angst zurückbleiben, und vielleicht meldete sie sich nach Jahren wieder und auf einer Ebene, auf der er ihr wehrlos ausgeliefert war.
Krohn hörte endlich auf, auf eine Art und Weise mit den Fingerspitzen an seinem Bein herumzugrapschen, die ihm die Tränen in die Augen trieb, ging zum
Schreibtisch und klingelte nach der Schwester. Sie erschien so prompt, als hätte sie hinter der Tür gewartet, und sie konnte nicht ganz so neu sein, wie Stefan angenommen hatte, denn die beiden bildeten offenbar ein eingespieltes Team: Während Krohn einen billigen Wegwerfkuli aus der Kitteltasche zog und damit etwas in Stefans Krankenbericht kritzelte, legte sie ihm mit raschen, wenn auch alles andere als sanften Handgriffen einen frischen Verband an.
Stefan gab während der ganzen schmerzhaften Prozedur keinen Laut von sich, aber er fühlte, wie ihm ein wenig flau im Magen wurde. Sehr viel länger hätte er es wohl nicht durchgehalten.
»Ich schreibe Ihnen noch ein weiteres Mittel auf«, sagte Krohn, ohne den Blick aus der Akte zu heben. »Für den Gewebeaufbau. Es ist wichtig, daß Sie es nehmen.«
»Selbstverständlich«, erwiderte Stefan. Seine Stimme schwankte leicht, und Krohn sah nun doch auf und sah ihn mit einem Ausdruck fragender Sorge an. »Aber sagten Sie nicht gerade selbst, daß die Wunde ganz ausgezeichnet heilt?«
»Ich sagte, daß ich mit dem Heilungsprozeß
zufrieden
bin«, korrigierte ihn Krohn - was im krassen Gegensatz zu dem stand, was er tatsächlich vor kaum einer Minute gesagt hatte. Das schien ihn aber nicht zu irritieren, und Stefan ersparte es sich, darauf zu antworten. Wenn er in den vergangenen zwei Wochen etwas gelernt hatte, dann, wie sinnlos es war, sich mit einem Arzt streiten zu wollen.
»Aber das bedeutet nicht, daß Sie jetzt leichtsinnig werden können.« Krohn nahm einen Rezeptblock aus der Schublade und kritzelte etwas darauf, ohne auch nur ein einziges Mal hinzusehen. »Mit Bißwunden von wilden Tieren ist wirklich nicht zu spaßen«, fuhr er fort. »Seien Sie froh, daß es so glimpflich abgegangen ist. Sie hätten sich leicht die Tollwut einfangen können oder etwas noch Schlimmeres.«
»Gibt es das denn?« fragte Stefan.
Krohn nickte. »O ja. Dem Einfallsreichtum von Mutter Natur sind praktisch keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, meinen Kollegen und mir das Leben schwerzumachen.« Er riß das Rezept von seinem Block, reichte es Stefan und stand auf. »Ich glaube, Sie brauchen von jetzt an nicht mehr jeden Tag zu kommen«, sagte er. »Es reicht, wenn Sie täglich den Verband wechseln lassen. Wir sehen uns dann am kommenden Montag.«
Stefan nahm das Rezept mit einem dankbaren Nicken entgegen und fand
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