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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Mewes! Ihre Frau und Ihr Schwager sind auch schon da.«
    »Ich weiß«, antwortete Stefan knurrig. Sein falscher Ton fiel ihm selbst auf, schließlich konnte die Schwester nichts dafür. Er lächelte entschuldigend, nahm ihr die kleine Mühe ab, die Tür wieder zu schließen und sagte: »Entschuldigen Sie. Ich bin ein bißchen verärgert, aber es hat nichts mit Ihnen zu tun.«
    Die Worte schienen die junge Frau noch mehr zu irritieren als sein unwilliger Ton gerade, und Stefan zog es vor, gar nichts mehr zu sagen, anstatt die Situation noch mehr zu verschlimmern. Einer seiner größten Fehler war zweifellos, in den unpassendsten Situationen aus bester Absicht heraus das Falschestmögliche zu sagen, was ihm schon eine Menge Arger eingebracht hatte. Es gab einen Grund, warum er nicht zur schreibenden Zunft gehörte, sondern die Neuigkeiten in der Welt lieber auf Zelluloid bannte.
    Die Schwester warf ihm noch einen abschätzigen Blick zu, dann ging sie wortlos in den Bereitschaftsraum zurück, und Stefan steuerte mit raschen Schritten das Zimmer ganz am Ende des Flures an. Er trat ein, ohne anzuklopfen, und sah genau das, was er erwartet hatte.
    Der schmale, schlauchartige Raum bot zwischen der Wand und der deckenhohen Glasscheibe auf der anderen Seite kaum genug Platz für Beccis Rollstuhl. Trotzdem hatte sie es geschafft, sich irgendwie hineinzuquetschen, und obwohl er wußte, wieviel Mühe ihr jede noch so kleine Bewegung bereitete, hatte sie sich halb in die Höhe gestemmt. Mit der linken Hand stützte sie sich auf der Armlehne des Rollstuhls ab, die andere hatte sie gegen die Glasscheibe gepreßt. Da er hinter ihr stand, konnte er ihr Gesicht nicht sehen, aber er wußte sehr gut, welchen Ausdruck er darauf lesen würde.
    Der Anblick versetzte ihm einen tiefen Stich. Sie hatten es bisher beide vermieden, über das Mädchen zu sprechen - Rebecca, weil es von ihrem Standpunkt aus nichts zu besprechen gab; er, weil er Angst vor diesem Gespräch hatte, denn er wußte, wie es enden mußte. Natürlich war ihm klargewesen, daß das nicht unendlich so weitergehen konnte, aber er hatte gehofft, ein wenig mehr Zeit zu haben. Und er hatte, verdammt noch mal, gehofft, daß sie dieses Gespräch allein und in einer etwas anderen Umgebung führen konnten.
    Stefan trat leise hinter ihren Rollstuhl, nickte seinem Schwager flüchtig zu und legte die Hände auf die Rückenlehne des Stuhles. Rebecca mußte sein Eintreten bemerkt haben, doch sie hob nur kurz den Blick zu der Spiegelung seines Gesichts in der Glasscheibe, ohne sich zu ihm herumzudrehen. Erst jetzt schenkte Stefan wenigstens einen Teil seiner Konzentration dem zweiten, viel größeren Teil des Zimmers auf der anderen Seite des Fensters.
    Nicht, daß er es nicht gekannt hätte; er war in den letzten zwei Wochen zwar nicht annähernd so oft wie Rebecca, aber doch häufig genug hier gewesen. Das Zimmer, das eigentlich Platz für drei Betten samt der dazugehörigen Intensivpflege-Technik bot, hatte im Moment zwar nur einen einzigen Bewohner, schien aber trotzdem aus den Nähten zu platzen. Neben einer Unzahl medizinischer Apparaturen - von denen Stefan wußte, daß die meisten im Grunde vollkommen überflüssig waren, denn abgesehen von einigen Kleinigkeiten war das Kind, das sie aus dem Wolfsherz mitgebracht hatten, kerngesund - türmten sich ganze Berge von Spielzeugen, Stofftieren, Kindermöbeln, Mobiles und anderen kunterbunten
    Dingen darin, mit denen Rebecca das Mädchen in den letzten beiden Wochen regelrecht überschüttet hatte. Außerdem gab es eine professionelle Kameraausrüstung auf einem Stativ nebst dazugehörigen Videorecordern und Monitoren.
    Die Krankenschwester, die auf der anderen Seite der Glasscheibe stand und das Kind in den Armen hielt, damit Rebecca es sehen konnte, wirkte zwischen all diesen Dingen seltsam verloren; und ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen, schien sie sich auch nicht besonders wohl in ihrer Haut zu fühlen. Stefan nickte ihr zu, und sie erwiderte die Geste mit einem angedeuteten Lächeln. Er hatte den Namen der Schwester vergessen - er merkte sich so gut wie niemals Namen -, doch er hatte sie bei seinen Besuchen hier überdurchschnittlich oft gesehen und vermutete, daß der Stationsarzt sie zur Pflege des Mädchens abgestellt hatte. Ihrem Dialekt nach zu schließen, mußte sie aus Jugoslawien stammen, beziehungsweise irgendeinem der neuen Länder, die aus diesem zertrümmerten Staatsgebilde entstanden waren und deren Namen so

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