Wolfsherz
auch keiner«, murmelte sie verstört und durch diesen Angriff von unerwarteter Seite sichtlich aus dem Konzept gebracht. »Es ist nur -«
Robert unterbrach sie mit einer neuerlichen Geste, fügte aber diesmal ein versöhnliches Lächeln hinzu: »Ich weiß, was du meinst. Und ich verstehe dich ja. Aber du solltest dich beruhigen.«
»Du tust niemandem einen Gefallen, wenn du dich so aufregst. Dir selbst am allerwenigsten«, sagte Stefan.
Rebecca beachtete ihn gar nicht. Sie sagte jetzt nichts mehr, aber sie sah ihren Bruder immer noch mit einem Ausdruck tiefster Verwirrung an, und Stefan fragte sich, ob Roberts ohnehin nur angedeuteter Widerstand tatsächlich der einzige Grund dafür war oder ob sich zwischen den beiden vielleicht noch mehr abgespielt hatte, bevor er hinzugekommen war. Es war nicht das erste Mal, daß er in Gegenwart seines Schwagers einen heftigen Stich ganz banaler Eifersucht verspürte. Das Verhältnis der beiden Geschwister war so außergewöhnlich innig, daß er sich manchmal wie ein Eindringling vorkam. Er bezweifelte, daß Rebecca seine Worte überhaupt gehört hatte.
Hinter ihnen wurde ein Stuhl zurückgezogen, und Stefan drehte halb den Kopf und sah aus den Augenwinkeln, wie sich jemand an den bisher freien Tisch direkt neben ihnen setzte. Flüchtig fragte er sich, warum. Gut die Hälfte der Plätze der Cafeteria waren nicht belegt. Der neue Gast hätte sich auch drei oder vier Tische weiter setzen können, selbst wenn er Wert darauf legte, aus dem Fenster zu sehen. Zugleich aber war er fast dankbar. Er glaubte nicht, daß der junge Mann sich hinter sie gesetzt hatte, um sie zu belauschen, aber er war nahe genug, um ihre Worte zu verstehen, und vielleicht würde allein das Rebecca schon davon abhalten, sich weiter in Rage zu reden.
Seine Frau warf einen finsteren Blick in Richtung des Gastes, der kaum eine Armeslänge hinter Stefan Platz genommen hatte, aber sie reagierte so, wie er gehofft hatte: Ihre Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich, und in ihren Augen blitzte es noch zorniger auf, aber sie sagte nichts.
»Vielleicht sollten wir jetzt gehen«, schlug Stefan vor. »Die Nachmittagsvisite ist bald fällig und Doktor Krohn wird bestimmt nicht begeistert sein, wenn du nicht in deinem Zimmer bist.«
»Meinetwegen«, antwortete Becci übellaunig, aber Robert sah wieder auf seine Armbanduhr, schüttelte den Kopf und sagte:
»Einen Moment noch, bitte.«
Stefan und Becci sahen ihn gleichermaßen überrascht an, und auf Roberts Gesicht erschien der Anflug eines verlegenen Lächelns. Für einen ganz kurzen Moment sah er trotz seiner eigentlich imponierenden Erscheinung wie ein kleiner junge aus, den man beim Schuleschwänzen ertappt hatte.
»Erwartest du jemanden?« fragte Stefan.
Robert nickte. »Ja. Ich gestehe alles. Ihr habt mich erwischt.«
»Wen?« wollte Becci wissen.
»Die ›dumme Kuh‹, von der du gerade gesprochen hast«, antwortete ihr Bruder mit einem neuerlichen flüchtigen Lächeln. Gleichzeitig hob er besänftigend die Hand, als Rebecca auffahren wollte. »Ich habe vorhin mit ihrem Amtsleiter telefoniert und ihn gebeten, sie noch einmal vorbeizuschicken.«
»Wozu?« fragte Rebecca mißtrauisch.
Ihr Bruder trank einen Schluck Kaffee; ganz eindeutig aus keinem anderen Grund, als zwei, drei Sekunden Zeit zu gewinnen. »Ich wollte einfach noch einmal mit ihr reden«, antwortete er schließlich. »Ich wäre selbst hingefahren, aber du weißt, daß ich heute nachmittag in die Schweiz fliege, und es kann sein, daß ich erst in drei oder vier Tagen zurückkomme. Ich... Da ist sie ja!« Er deutete zur Tür und stand gleichzeitig halb von seinem Stuhl auf. Er wirkte eindeutig erleichtert.
Auch Stefan drehte sich um und erkannte eine Frau mittleren Alters in einem schmucklosen Kostüm und mit blondem Haar, die die Cafeteria betreten hatte und sich jetzt suchend umsah. Als sie Rebecca erblickte, kam sie mit schnellen Schritten auf sie zu. Ihr Gesicht blieb unbewegt, aber das Funkeln in Beccis Augen steigerte sich zu einem Gewitter, das kurz vor dem Ausbruch stand, und Stefan fragte sich erneut, was am Morgen zwischen den beiden Frauen vorgefallen war.
Er warf seiner Frau einen fast beschwörenden Blick zu, ehe auch er seinen Stuhl zurückschob und aufstand. Unabsichtlich stieß er dabei gegen den Gast, der hinter ihm saß und murmelte eine Entschuldigung, bekam aber keine Antwort.
»Frau Halberstein, nehme ich an.« Robert trat der Frau einen Schritt entgegen
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