Wolfsherz
holen, setzte sich Stefan, sah seine Frau an und wartete darauf, daß sie von sich aus das Wort ergriff; aber sie schwieg. Ihr Blick wich seinem aus, doch jetzt, wo er ihr Gesicht das erste Mal deutlicher und länger als eine Sekunde sah, erkannte er genau, wie erregt sie war.
Aus irgendeinem Grund stellte er jedoch keine Fragen, sondern faßte sich in Geduld, bis Robert mit einem Tablett mit drei Tassen Kaffee und einem gewaltigen Stück Sahnekuchen zurückkam. Wortlos verteilte er die Getränke, zog scharrend einen der billigen Plastikstühle heran und setzte sich. Während er das tat, sah er auf die Armbanduhr und praktisch gleichzeitig zur Tür, als erwarte er jemanden.
»Also?« fragte Stefan. »Raus mit der Sprache. Was ist passiert?«
»Da war diese dumme Kuh von -«, begann Rebecca, wurde aber schon wieder von ihrem Bruder unterbrochen, der besänftigend die Hand hob und ihren jetzt nur noch mühsam unterdrückten Zorn mit einem Lächeln abzublocken versuchte.
»Nun reg dich nicht auf! Die Frau tut nur ihre Pflicht. Es war ihr genauso unangenehm wie dir. Wir kriegen das schon hin.«
Stefan sah verwirrt von einem zum anderen. »Was?«
»Es war jemand vom Jugendamt hier«, antwortete sein Schwager, während er nach seiner Kaffeetasse griff. »Sie hat im Grunde nur ein paar Fragen gestellt. Und sie hatte zwei oder drei Formulare, die ausgefüllt werden müssen, das ist alles. Rebecca reagiert ein bißchen über.«
»Das ist nicht wahr!« protestierte Becci. »Sie hat gesagt, daß sie Eva in ein Heim geben werden und daß sich die Behörden um sie kümmern! Aber das lasse ich nicht zu.«
Stefan fuhr ganz leicht zusammen, als Rebecca den Namen des Kindes aussprach. Er hatte es bisher - selbst in Gedanken und nur für sich - immer nur »das Kind« oder »das Mädchen« genannt. Und das hatte einen guten Grund.
Er verbiß sich auch jetzt jedes Wort dazu, wandte sich aber in ebenso beruhigendem Ton wie Robert an Rebecca und sagte: »Dein Bruder hat recht. Formalitäten... du weißt doch, wie so etwas läuft. In diesem Land kannst du absolut nichts tun, ohne vorher eine schriftliche Genehmigung einzuholen.«
In Beccis Augen blitzte es zornig auf. Wenn das, was Robert gerade gesagt hatte, alles war, dann verstand er ihre Reaktion nicht ganz. Stefan hatte eigentlich damit gerechnet, daß sich die Behörden sehr viel schneller melden würden. Immerhin waren sie jetzt seit fast zwei Wochen wieder in Frankfurt.
»Sie hat gesagt, daß sich die Behörden um Eva kümmern werden«, beharrte Becci stur. »Du weißt, was das heißt. Sie werden sie in irgendein Heim stecken. Das lasse ich nicht zu! Niemand wird sie mir wegnehmen!«
»Aber das will doch auch niemand«, sagte Robert. Er streckte die Hand über den Tisch, um die Rebeccas zu ergreifen, aber sie zog ihren Arm mit einem wütenden Ruck zurück und starrte zwischen ihm und Stefan hindurch ins Leere.
Stefan seufzte. Er spürte, wie sinnlos es war, jetzt weiter mit Rebecca reden zu wollen. Sie war viel zu aufgeregt, um vernünftigen Argumenten zugänglich zu sein. So wandte er sich an seinen Schwager. »Was war denn nun wirklich los? Warst du dabei?«
Robert verneinte. »Ich bin erst später gekommen. Aber ich habe mit dem Amtsleiter telefoniert. Es ist wirklich eine reine Routineangelegenheit. Sie müssen irgendwelche Papiere ausfüllen.« Er nippte an seinem Kaffee und lachte ohne echten Humor. »Ich meine, ihr habt immerhin ein wildfremdes Kind mitgebracht. Niemand weiß, wer seine Eltern sind, woher es kommt, was es in diesem Tal getan hat... so einfach ist das alles nicht.«
»Und ob es das ist!« erwiderte Becci gereizt. »Du warst nicht dabei. Du hast nicht gesehen, was sie ihr angetan haben. Wenn wir sie nicht gefunden hätten, dann wäre sie jetzt tot!«
»Das macht sie nicht automatisch zu deinem Eigentum«, erwiderte Robert sanft.
Robert und Rebecca waren mehr als normale Geschwister. Becci sprach sehr selten über ihre Jugend, aber Stefan wußte, daß ihre Eltern früh gestorben waren und Robert praktisch ganz allein die Last ihrer Erziehung getragen hatte. Er hatte sich nicht nur wie ein Bruder, sondern, obwohl er nicht einmal fünf Jahre älter war als sie, wie ein Vater um sie gekümmert und sie vermutlich auch wie ein solcher geliebt. Stefan hatte selten erlebt, daß er seiner Schwester so direkt und vor allem auf eine solche Art widersprach; und ihrem erstaunten Gesichtsausdruck nach zu schließen, Rebecca wohl auch.
»Das... das sagt ja
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