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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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oft wechselten, daß es sich kaum zu lohnen schien, sie sich zu merken.
    Neben dem leicht unglücklichen Gesichtsausdruck der Schwester gab es noch etwas, was an diesem Bild nicht stimmte. Die dunkelhaarige Krankenpflegerin hielt das Mädchen auf den Armen, wie man einen Säugling gehalten hätte, aber das war es nicht. Die Ärzte schätzten sein Alter auf vier, wenn nicht fünf Jahre, und trotzdem war es in einen krankenhauseigenen Strampelanzug gekleidet, der sich über einer übergroßen Wegwerfwindel beulte und lag so still und in fast embryonaler Haltung in der Armbeuge der Schwester, wie man es normalerweise nur von einem Säugling gewohnt war.
    »Sie ist sehr ruhig heute«, sagte Rebecca. Die Worte galten nicht Stefan, sondern ihrem Bruder, aber Robert reagierte nur mit einem Achselzucken darauf. Auch er schien sich in seiner Haut nicht sehr wohl zu fühlen, aber Stefan war nicht sicher, ob das nicht nur an seiner Gegenwart lag. Robert wußte sehr wohl, wie er über die ganze Sache dachte, und tief in sich war Stefan sogar sicher, daß sein Schwager diese Meinung eher teilte als die seiner Schwester. Aber was Robert
dachte
und was er
tat,
war nicht immer dasselbe.
    »Wahrscheinlich ist sie es allmählich leid, wie ein Tier im Zoo angestarrt zu werden«, sagte Stefan.
    Rebecca drehte sich nun doch zu ihm um; in einer komplizierten, mühsamen
    Bewegung, die ihr offensichtlich auch Schmerzen bereitete. »Du bist heute spät dran«, sagte sie, ohne auf seine Worte einzugehen.
    Stefan hob die Schultern. »Mein Termin war eine Stunde später als sonst, und das Wartezimmer war voll. Ist irgend etwas... passiert?« Er deutete mit einer Handbewegung auf das Mädchen. Die Schwester schien diese Geste zum Anlaß zu nehmen, sich herumzudrehen und das Kind zu dem verchromten Gitterbett zurückzutragen, aus dem sie es genommen hatte. Stefan wußte nicht, wie lange Becci und Robert schon hier standen, aber das Gewicht der Kleinen mußte schon nach einigen Minuten zur Qual werden.
    »Nein«, antwortete Robert, und Rebecca sagte im selben Moment: »Ja.« »Aha«, sagte Stefan, »und was bedeutet das jetzt - im Klartext?«
    »Da war -«, begann Rebecca, und Stefan hörte allein an diesen beiden ersten Worten, wie sehr sie das, was sie sagen wollte, erregt hatte, doch ihr Bruder unterbrach sie in bestimmtem, autoritätsgewohntem Ton:
    »Wir klären das schon, keine Angst. Aber vielleicht nicht hier. Laßt uns nach draußen gehen.« Er lächelte flüchtig. »Vielleicht gelingt es uns ja, dich auf die Station zurückzuschmuggeln, bevor dein Arzt einen Schlaganfall bekommt.«
    »Soll er«, antwortete Rebecca achselzuckend. »Ich bin hier Patientin, keine Gefangene.« Sie versuchte, den Rollstuhl in dem schmalen Gang herumzudrehen, schaffte es aber nicht, so daß Stefan Zugriff und sie rückwärts gehend auf den Korridor hinauszog. Als er den Rollstuhl wenden und sie auf die Tür zu schieben wollte, schüttelte sie fast zornig den Kopf und griff mit beiden Händen nach den Rädern. Stefan runzelte ebenso mißbilligend wie Robert die Stirn, aber er kannte seine Frau gut genug, um mit einem Achselzucken zurückzutreten und zuzusehen, wie sie sich selbst mit dem schweren Gefährt abmühte. Sie gab es nicht zu, aber sie wußten beide, daß
sie
starke Schmerzen litt, und er vermutete, daß ihr Stolz allerhöchstens bis zum Aufzug vorhalten würde, bevor die Vernunft wieder die Oberhand gewann und sie es zuließ, daß er oder ihr Bruder den Rollstuhl schoben.
    Während sie sich der Sicherheitstür näherten, fiel Stefan unauffällig zwei Schritte zurück und murmelte, an seinen Schwager gewandt: »Was ist passiert?«
    Robert deutete ein Kopfschütteln an und antwortete ebenso leise: »Nicht jetzt. Draußen.«
    Das klang beunruhigend, fand Stefan, aber auch nicht mehr. Nur beunruhigend. Kein Grund, in Panik zu geraten.
    Sie fuhren mit dem Lift nach unten. Als die Aufzugtüren auseinanderglitten, griff Stefan nach dem Rollstuhl und wollte ihn zum Ausgang schieben, aber sein Schwager schüttelte nur den Kopf und deutete auf die Glastür zur Cafeteria. Und warum nicht? Stefan war nicht durstig, aber bei einer Tasse Kaffee redete es sich vermutlich besser, und irgend etwas
war
passiert. Er zog es vor, Rebecca in die Augen zu sehen, wenn er mit ihr sprach, statt mit ihrem Hinterkopf zu reden, während er den Rollstuhl vor sich herschob.
    Sie suchten sich einen freien Platz am Fenster. Während Robert zur Theke ging, um drei Becher Kaffee zu

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